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Meinungen - 24.10.2013 - 00:00 

Unbedingte Freiheit

Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst des bedingungslosen Grundeinkommens. Dass es nun zur Abstimmung darüber kommt, hat historische Bedeutung. Ein Meinungsbeitrag von HSG-Dozent Christoph Henning.

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25. Oktober 2013. Eine Zustimmung zum Bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) ist keineswegs unmöglich. Sie wäre in ihrer Signalwirkung der Einführung der Renten-, Kranken- und Unfallversicherung im Bismarck-Deutschland vergleichbar. Damals wurden für ein Jahrhundert die Weichen gestellt, mit weltweiter Vorbildwirkung, sogar auf die Vereinigten Staaten. Zwar war das 'nur' eine Reaktion der Staatsorgane auf radikalere Forderungen der Sozialisten. Doch der «rheinische» Ordo-Kapitalismus stellt für viele bis heute eine wünschenswerte Alternative zum deregulierten Neoliberalismus dar. Eine ähnliche Wirkung dürfte diese Abstimmung haben, selbst wenn sie negativ ausfiele.

Ökonomische Entlastung
Dabei ist es kein Zufall, dass ein BGE bei genauerem Hinsehen ebenso zweischneidig ist wie die obrigkeitsstaatlich verordnete Sozialpolitik es war. Dazu ist einiges zu sagen. Doch vorab muss klar sein: Für die Mehrzahl der Menschen würde ein BGE eine grosse Erleichterung sein. Es brächte für sie eine ökonomische Entlastung und eine Befreiung von erniedrigenden Behördengängen.

Auch für Menschen in der «Normalerwerbsbiographie» böte das BGE eine Chance: Sich zeitweise aus einer vereinnahmenden Alltagsmühle abzuseilen und eine Auszeit zu nehmen, in der man endlich Zeit für sich und die seinen hätte. Kurzum, eine reiche Gesellschaft würde sich damit das erlauben, was doch eigentlich der Sinn von Reichtum ist: ein gemeinsames gutes Leben, statt wie bisher ein übersattes Leben für einige und ein Sich-Kaputt-Laufen im Hamsterrad für viele andere. Diese historische Bedeutung des BGE lässt sich nicht wegdiskutieren.

Nachgefragt wird allerdings, zu welchem Preis all das erkauft würde und wer ihn zu entrichten hätte. Manche wenden ein, ein BGE wäre nicht zu finanzieren, es würde die Arbeitsmoral untergraben (und die disziplinierende Wirkung der Lohnarbeit preisgeben) sowie makroökonomisch das Wachstum verlangsamen. Andere befürchten, ein BGE könnte die Ungleichheiten in der Gesellschaft noch vergrössern, indem es helfen würde, die Löhne und Sozialleistungen zu senken. Darüber werden seit langem Debatten geführt.

Arbeitsmoral und Nichtfinanzierbarkeit
Dazu ist folgendes zu bemerken: Der Einwand der Nichtfinanzierbarkeit verfehlt die gestalterische Dimension und damit den Sinn des BGE. Wenn wir noch kein Bildungs- oder Gesundheitssystem hätten, würden deren Kosten uns sicher ebenfalls «zu hoch» erscheinen. (Man denke an den Widerstand gegen Obamacare!) Doch würden wir sie heute preisgeben wollen? Wir leisten uns ja noch ganz andere, weit weniger 'notwendige' Geldverbrenner (ein CERN, das IOC etc.). Wenn die Menschen entscheiden, dass sie ein BGE einführen möchten, wäre dieses Argument vorgeschoben. Wer an die Überlegenheit der Marktkräfte glaubt, sollte ihnen vielmehr zutrauen, auch mit veränderten Rahmenbedingungen zurande zu kommen.

Der Einwand der Arbeitsmoral hingegen unterschlägt, dass es gerade der Sinn des BGE ist, den Menschen die Freiheit zu geben, nicht mehr jede Arbeit annehmen zu müssen. Dass sie das bisher aus moralischen Gründen taten, kann man bei schlechtbezahlten Jobs nicht ernsthaft glauben. Es wäre nicht verkehrt, wenn sich Arbeitgeber künftig mehr um Arbeitende bemühen müssten. Und warum sollten wir stets auf Wachstumsziffern schielen? Ein Zwang zum steten Wachstum ist heute kein Teil der Lösung, sondern des Problems. Es kann nur unter hohem politischem Aufwand und grossen ökologischen Schäden erzielt werden, und die Früchte dieses Wachstums können gar nicht mehr genossen werden, wenn aufgrund der steigenden Arbeitsbelastung niemand mehr Zeit dafür hat.

Weniger ist mehr
Der ökonomische Reichtumsbegriff ist nicht der einzige, er geht im Extremfall sogar auf Kosten anderer Reichtümer: des Zeitwohlstands etwa, des «menschlichen Reichtums» kultivierter Musse oder der Pflege sozialer Beziehungen. Hier darf man die Alarmglocken ruhig wieder ausschalten. Besorgniserregend ist allerdings, dass Kritiker vorrechnen, es könne den Menschen mit BGE schlechter gehen als zuvor, etwa weil die bisherigen Renten oder Sozialleistungen höher waren oder weil die Löhne stark sinken würden. Solange ein BGE nicht existenzsichernd ist, könnte es zur Prekarisierungsfalle werden: Ein BGE, das nicht zum Leben reicht, zwänge nach wie vor zur Arbeit, nur würde die im schlechtesten Fall nicht mehr viel weiterhelfen.

Wenn dies der Grund für die Erwägung eines BGE auch in konservativen Kreisen ist, sollten Befürworter an dieser Stelle vorsichtig sein. Ein weiterer Grund zur Vorsicht sind Ideen einer Steuerentlastung für Gutverdienende, die sich in konservativen BGE-Modellrechnungen gut im Kleingedruckten verstecken. Daraus kann man nur den Schluss ziehen: wenn ein BGE eingeführt wird, dann bitte richtig – nämlich so, dass es (wie im Initiativtext vorgesehen) ein «menschenwürdiges Dasein» für alle erlaubt und die soziale Ungleichheit nicht noch weiter verschärft.

Bild: Photocase / Tim Toppik

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