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Meinungen - 19.04.2013 - 00:00 

«Wir brauchen Mut zur Moral»

In unserer Gesellschaft ist moralischer Mut gefragt. Die Überzeugung, das ethisch Richtige zu tun, auch wenn dies persönliche Nachteile mit sich bringt. Selbstbeschränkung tut Not, schreibt HSG-Wirtschaftsethiker Florian Wettstein.

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1. Mai 2013. «Wer nicht wagt, der nicht gewinnt», heisst es nicht nur im Volksmund, sondern so gilt es auch in der Unternehmenspraxis. Und so erstaunt es nicht, dass Mut auch schon mal als Attribut erfolgreichen Führens in der Managementlehre auftaucht: der Mut zum Risiko, früher als ritterliche Tugend in den Schlachten um Ruhm und Ehre gepriesen, wird so zur wirtschaftlichen Tugend im Wettbewerb um Marktanteile.

Mut ohne Augenmass
Gute Führungskräfte sollen also mutige Entscheidungen treffen. Den Anreiz setzen häufig üppige Bonus- und Provisionszahlungen. Zahlen sich die Entscheidungen aus, werden die Manager dafür fürstlich entlohnt. Wer viel wagt, der soll viel gewinnen. Und so werden die Einsätze immer höher, die Risiken immer grösser. Der Spekulationsmut verkommt zur Spekulationswut, die Tugend schlägt in Waghalsigkeit um. Es ist diese Art von Mut, Mut ohne Augenmass und ohne Rücksicht auf Verluste, die uns in der letzten Konsequenz die grösste Finanz- und Wirtschaftskrise seit der grossen Depression beschert hat. Die Suppe löffeln wir heute alle gemeinsam aus.

Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Bereitschaft unserer Wirtschaftsführer, das Wohl der Gemeinschaft im Auge zu behalten, hat in den letzten Jahren gelitten. Ein integres Wirtschaftssystem, so eine Schlüsselerkenntnis aus der Krise, ist ohne integer handelnde Menschen nicht zu haben. Gerade integres Handeln scheint aber unter den Systembedingungen unserer Wirtschaft immer schwieriger zu werden.

Druck gefährdet Integrität
Stetig steigender Wettbewerbsdruck, prekäre Arbeitsverhältnisse, Arbeitsplatzunsicherheit auf der einen und die exzessive Belohnung von rein resultatgetriebenen Handlungen auf der anderen Seite stehen prinzipiengeleiteten Erwägungen immer wieder im Weg. Das Arbeiten in Organisationen wirkt dabei oft zusätzlich erschwerend; Cliquen- und Gruppenmentalität, unkritische Loyalität, die Angst vor Blossstellung oder nachteiligen Leistungsevaluationen führen oft dazu, dass Mitarbeiter die Augen vor moralischen Verstössen verschliessen, anstatt sie zu melden.

Wir erinnern uns nur zu gut an das Beispiel Kweku Adoboli. Der UBS-Trader konnte nur vermeintlich unbemerkt über einen längeren Zeitraum Handelspositionen aufbauen, welche die Stabilität der ganzen Unternehmung gefährdeten. Heute sitzt er dafür im Gefängnis.

Die wirklich Mutigen sind deshalb nicht diejenigen, die sich aufopfernd in den Dienst der Profitsteigerung stellen. Sondern jene, die ihren Werten und Prinzipien auch unter Inkaufnahme persönlicher Nachteile konsequent den Vorrang einräumen. Es sind die Menschen, die ihre Handlungen auch unter widrigen Bedingungen an Gerechtigkeit und Gemeinwohl ausrichten, anstatt nur an ihrem persönlichen Vorteil. Solche Menschen gibt es auch in der Wirtschaft.

Manager mit Sinn für Gemeinwohl
Denken wir zum Beispiel an die Manager und Unternehmer, die sich Mitte der 1980er-Jahre gegen das südafrikanische Apartheid-Regime auflehnten, oder an die sogenannten Whistleblower, die ihre Karriere riskieren, um auf Missstände in Unternehmungen hinzuweisen. Oder Menschen wie die Amerikanerin Brooksley Born, die früh vor dem Kollaps des Finanzsystems warnte und sich gegen alle Widerstände und unter Spott und Hohn vehement, aber vergebens für die konsequente Regulierung von Derivaten einsetzte – bis die Krise schliesslich Wirklichkeit wurde.

Mut beweisen beispielsweise auch Universitätsabsolventen, die lukrative und prestigeträchtige Angebote ausschlagen. Weil sie die Wahl ihres Arbeitgebers an übergeordnete Werte und an Bedingungen der Verantwortung knüpfen, anstatt nur an die Höhe des Gehalts. Oder Arbeitnehmer, die ihrer Familie den Vorrang vor ihren Karrierezielen einräumen. Oder Unternehmer, die benachteiligten Menschen trotz drohenden Wettbewerbsnachteilen die Chance geben, einen sinnvollen Beruf auszuüben. Es ist nicht der Mut zum (persönlichen) Erfolg, sondern der Mut zur Moral, der diese Menschen auszeichnet.

Selbstbeschränkung statt Selbstüberschätzung
Moralischer Mut ist ganz allgemein der Mut, das ethisch Richtige zu tun. Dies auch und dann, wenn die Entscheidung mit persönlichen Risiken und Nachteilen verbunden ist. Es ist der Mut, der nicht von der Opportunität getrieben ist, sondern von der persönlichen Integrität. Der Mut also, für Werte und Prinzipien einzustehen, anstatt deren Missachtung stillschweigend hinzunehmen.

Diese Art von Mut definiert sich im Gegensatz zu dem, was wir herkömmlich unter Mut verstehen, gerade nicht dadurch, dass man seine Grenzen strapaziert und dehnt. Im Gegenteil, dieser Mut ist gekennzeichnet durch das Setzen und Anerkennen von Grenzen. Moralischer Mut gründet in der Selbstbeschränkung anstatt in der Selbstüberschätzung. Es ist der Mut, der Vernunft den Vorrang vor dem (Herden-)Trieb einzuräumen.

Opportunisten verbessern die Welt nicht
Moralischer Mut ist das Bindeglied zwischen höheren Prinzipien und deren Umsetzung in der Praxis; ohne ihn ist verantwortliches Wirtschaften nicht möglich. Es ist also der moralische Mut, der im Anforderungsprofil an Manager stehen sollte und wir tun gut daran, ihn gerade auch in der Ausbildung künftiger Führungskräfte zu fördern. Dies nicht nur, weil die Überlebensfähigkeit des Wirtschaftssystems als solches davon abhängt; sondern auch, weil es in der Vergangenheit nie die Opportunisten, sondern immer die moralisch mutigen Menschen waren, die die Welt nachhaltig verbessert haben.

Bild: Photocase / Vodoo!

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