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Meinungen - 09.03.2012 - 00:00 

Demokratie als Luxusgut?

Wenn immer mehr Entscheidungen auf globaler Ebene getroffen werden, besteht die Gefahr, dass demokratische Strukturen an Bedeutung verlieren. Daniele Caramani über Demokratie in Zeiten der Globalisierung.

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8. März 2012. Der EU-Fiskalpakt in Irland soll einem Referendum unterzogen werden. Einmal mehr liegt das Schicksal der europäischen Finanzen, mitsamt ihren Auswirkungen auf die ganze Weltwirtschaft, in der Hand von kaum drei Millionen Wählern. Kann eine kleine, lokale Demokratie Entscheidungen von so grosser Tragweite in Frage stellen? Viele Politiker reagieren irritiert. Sollten die Iren aber deswegen auf ihr demokratisches Mitspracherecht verzichten? Ganz im Gegenteil: Aus Sicht der Demokratie erscheint das irische Referendum eher ungenügend. Nicht zu viel, sondern zu wenig demokratische Mitsprache ist das Problem.

Nationale Wahlen mit lokalem Charakter

Stellen wir uns für einen Augenblick vor, in der Schweiz gäbe es Wahlen nur auf der Gemeindeebene. Kein nationales Parlament, keine Referenden auf Bundesebene: Könnte man dies als funktionierendes demokratisches System bezeichnen, das es den Bürgern und Bürgerinnen erlaubt, effektiv an der Gestaltung ihrer Lebensumstände mitzuwirken? Offensichtlich nicht: das hypothetische Beispiel wirkt absurd. Und doch geschieht dasselbe zur Zeit auf der globalen Ebene. Nationale Wahlen und Referenden gewinnen in der globalisierten Welt zunehmend lokalen Charakter. Bei der Planung von Tram-Linien können wir mitbestimmen, geht es aber um die Rettung ganzer Volkswirtschaften, dann haben wir nichts zu sagen.

Die grösste Gefahr für die Demokratie besteht heute in der Tatsache, dass die demokratischen Institutionen an die engen Grenzen der Nationalstaaten gebunden sind, während Handels- und Klimapolitik, Kriminalitäts-bekämpfung und Probleme wie der demographische Wandel diese Grenzen längst hinter sich gelassen haben. Internationale Entscheidungen in solchen Bereichen entziehen sich der demokratischen Kontrolle. Sind die Grenzen des Nationalstaats auch die Grenzen der Demokratie?

Zu wenig Tempo für die globale Wirtschaft 
Die Demokratie konnte mit der Globalisierung bisher nicht Schritt halten. Internationale Organisationen rekrutieren ihr Personal aus Experten und Regierungsvertretern. Häufig werden auch autoritär geführte Staaten als gleichberechtigte Mitglieder aufgenommen. Unterdessen steigt auf den internationalen Finanzmärkten der Anteil an privatem Kapital, und global agierende Wirtschaftsunternehmen sind oft mächtiger als ganze Länder, deren Schicksal von international tätigen Investoren abhängt. Und immer mehr Menschen, die auf der Suche nach Arbeit ihr Heimatland verlassen, verlieren zu Hause ihr Mitbestimmungsrecht, im Gastland aber sind sie ebenfalls nicht wahlberechtigt.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass Frust entsteht. Schon in der rückläufigen Wahlbeteiligung spiegelt sich das Gefühl der Ohnmacht wider. Dieselbe Unzufriedenheit äussert sich auch dort, wo versucht wird, die Globalisierung durch protektionistische Massnahmen einzudämmen, sei es auf der ökonomisch-rechtlichen oder auf der kulturellen Ebene. Die Lage ist paradox: Um demokratischen Einfluss zu wahren, greifen Demokratien zu undemokratischen Mitteln. So liebäugeln auch viele Beobachter mit den mehr oder weniger «weichen» autoritären Regimes von Ländern wie China oder Singapur, die ihre wirtschaftliche Effizienz durch staatskapitalistische Systeme optimiert haben.

Demokratie verkommt zum «Luxusgut»
Am meisten kommt es doch schliesslich darauf an - so wird häufig argumentiert, dass Wohlstand und Sicherheit gewährleistet sind; Demokratie sei doch eher so etwas wie ein sekundäres Bedürfnis, ein Luxusgut! Auch in Europa ist bereits der Vorschlag zu hören, man möge die griechischen Parlamentswahlen doch erst einmal vertagen, weil sie den laufenden Prozess nur stören würden. Die Legitimität eines politischen Systems scheint nur noch davon abzuhängen, welche Resultate es hervorbringt, nicht aber von der Art, wie die Entscheidungen darin zustande gekommen sind.

Eine solche Argumentation wird aber der Sache nicht gerecht. Demokratie ist kein Luxusgut, sie ist eine Notwendigkeit, denn Wirtschaft und gesellschaftlichen Fortschritt leben nicht nur von Freiheit, sondern auch von Verantwortung. Ohne die breite soziale Kohäsion, die nur durch demokratische Prozesse gesichert werden kann, könnte das wirtschaftliche Leben nicht funktionieren. Eine globalisierte Welt, in der Entscheidungen ohne die Beteiligung der betroffenen Menschen herbeigeführt werden, wäre nicht nur eine weniger demokratische, sondern auch wirtschaftlich eine weniger dynamische und innovative Welt.

Bild: Europäisches Parlament in Strassburg. Photocase / Nonuniform

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