close

Meinungen - 03.04.2012 - 00:00 

Umdenken im Energiemarkt

Ein Jahr nach Fukushima ist die Energiepolitik in Europa im Umbruch. Alte Strategien greifen nicht mehr. Ein Kommentar von Prof. Dr. Rolf Wüstenhagen.

$alt

21. März 2012. Vor etwas mehr als einem Jahr erschütterte der Unfall im Atomkraftwerk Fukushima die Energiepolitik europäischer Länder. Viel wurde seither darüber diskutiert, welche Auswirkungen sich daraus auf die Strategien Schweizer Energieversorger ergeben.

Einen interessanten Anhaltspunkt lieferte kürzlich ein grosser deutscher Stromversorger, dessen Vorstandsvorsitzender die 2011 gesunkene Profitabilität mit drei Faktoren begründete. Als erstes wies er auf die Belastung durch hohe Preise bei den langfristigen Gasbezugsverträgen des Unternehmens hin – ein klares Indiz für die Brennstoffpreisrisiken, die sich durch die hohe Abhängigkeit vieler europäischer Länder von Energieimporten aus nicht-erneuerbaren Quellen ergeben. Diese Risiken zeigen sich nicht nur im Strommarkt, sondern auch in anderen wichtigen Bereichen des Energieverbrauchs – so hat die Swiss erst jüngst gewarnt, dass sie dieses Jahr mit 300 Millionen Franken zusätzlichen Treibstoffkosten rechnet. Und einer der zentralen Ausgangspunkte für das Energiekonzept 2050 der Stadt St. Gallen war die Frage, wie es gelingen kann, den Bürgern auch in Zukunft noch eine warme Stube zu erschwinglichen Kosten zu bieten.

Sonnenenergie dämpft Preisanstieg
Die zweite Erklärung, die der Energieversorger für die verringerte Profitabilität ins Feld führte, war eine fundamentale Veränderung im Stromhandel. Durch den starken Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere der Photovoltaik, hat sich das Preisgefüge verschoben. Konnte man früher zu Zeiten der Verbrauchsspitze am Mittag gutes Geld mit Kohle- und Gaskraftwerken verdienen, so hat die ebenfalls mittags maximal produzierende Sonnenenergie preisdämpfende Wirkung. Hintergrund ist, dass die variablen Kosten von Sonnen- und Windstrom praktisch gleich null sind, was dazu führt, dass aufgrund des sogenannten «Merit Order Effekts» konventionelle Kraftwerke mit höheren variablen Kosten verdrängt werden. Diese Veränderung trifft auch die im Stromhandel engagierten Schweizer Energieversorger, die sich ebenfalls auf neue Handelsmuster einstellen müssen.

Französische Heizungen als Stromfresser

Erst an dritter Stelle nannte der EVU-Chef den emotional so heiss diskutierten Atomausstieg. Deutschland fährt hier ja grundsätzlich einen ähnlichen Kurs wie die Schweiz, jedoch mit ausgesprochen ambitioniertem Zeitplan. Bereits wenige Wochen nach Fukushima wurden neun der 17 deutschen AKW stillgelegt, und die übrigen werden innerhalb des nächsten Jahrzehnts folgen. In Anbetracht des kalten Winters rief das mancherorts die Sorge hervor, Deutschland werde nur aufgrund von Nuklearstrom-Importen aus Frankreich die Stromversorgung aufrecht erhalten können.

Eine Analyse der Situation auf dem europäischen Strommarkt im Februar 2012 durch Avenir Suisse, sowie eine ähnliche Untersuchung des Internationalen Wirtschaftsforums Regenerative Energien (IWR) in Münster, führt jedoch zu überraschenden Erkenntnissen. So war es an den besonders kalten Tagen just die Stromversorgung Frankreichs, die aufgrund der weit verbreiteten Elektroheizungen und der wenig flexiblen Atomstromproduktion an ihre Grenzen stiess. Selbst auf dem Höhepunkt der Kältewelle war Deutschland immer noch Stromexporteur – wie übrigens auch Spanien und Italien, also drei Länder, die einerseits über kurzfristige Reserven im konventionellen Kraftwerkspark verfügen, andererseits aber in den vergangenen Jahren mit rund 40'000 Megawatt neu installierter Leistung auch ihre Solarstrom-Produktion stark ausgebaut haben.

Aussergewöhnliche Situationen am europäischen Strommarkt müssen Schweizer Unternehmen dabei nicht unbedingt zum Nachteil gereichen – nach Angaben der Netzbetreiber wechselte auf dem Höhepunkt der Kältewelle Anfang Februar eine Kilowattstunde Schweizer Exportstrom kurzfristig einmal für umgerechnet 3.60 Franken den Besitzer.

Diversifikation zahlt sich aus

Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus diesen Beobachtungen für die im Wandel befindlichen Strategien der Schweizer Energieversorger ziehen? Zum ersten: Angesichts der Vernetzung im europäischen Strommarkt kann die Diskussion um unmittelbar bevorstehende Engpässe in der Stromversorgung möglicherweise etwas gelassener geführt werden. Das mag auch für den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts zum Atomkraftwerk Mühleberg gelten, welches rund 5 % der Schweizer Stromproduktion liefert – auch wenn natürlich mittelfristig Handlungsbedarf besteht. Zum zweiten: Das rasche Wachstum der erneuerbaren Energien in unseren Nachbarländern, insbesondere Solar- und Windenergie, führt zu starken Veränderungen in den Handelsmustern. Wer an seinen bisherigen Strategien festhält, läuft Gefahr, seine Margen schwinden zu sehen – wer hingegen ein fundiertes Verständnis der neuen Realitäten im Strommarkt aufbaut, erschliesst sich neue Chancen. Und zum dritten: Wenn wir in den kommenden Jahren konsequent in Energieeffizienz und die Diversifikation unseres Stromversorgungsportfolios investieren, könnte sich dereinst auch unser westlicher Nachbar für Energieinnovation «fabriqué en Suisse» interessieren.

Bild: Photocase / Suze

Entdecken Sie unsere Themenschwerpunkte

north