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Meinungen - 02.02.2012 - 00:00 

Was war los mit Davos?

Was sollen wir nach dem Abschluss des World Economic Forum in Davos von dessen allfälligen Ergebnissen halten? Ein HSG-Professor meint, der Kaiser habe keine Kleider. Ein Kommentar von Professor Simon J. Evenett

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2. Februar 2012. Letzten Samstag kam das neueste World Economic Forum in Davos zum Abschluss. Für einen Anlass, der kein Communiqué – geschweige denn grosse Würfe wie einen Staatsvertrag oder auch nur ein mittelprächtiges Regierungsübereinkommen – zustande bringt, wurden verblüffende Mengen Tinte verschwendet, um den Irrungen und Wirrungen dieses alpinen Kaffeeklatsches auf den Schlich zu kommen. Es sagt einiges über die aktuelle Weltlage aus, dass einer informellen Veranstaltung, die – trotz aller Bemühungen – den Eliten vorbehalten ist, im Jahreskalender so grosses Gewicht beigemessen wird.

Nationale Verlautbarungen
Mit einer einzigen Ausnahme sind die Verlautbarungen der führenden Politiker mit Vorsicht zu geniessen. Angela Merkels Rede war langweilig und schwunglos. Immerhin kann man ihr den Versuch zugutehalten, nicht zu anmassend zu sein. David Camerons Rede hingegen war voller Schwung und Elan. Dummerweise kam diese grossteils zutreffende Analyse der Mängel der Eurozonenstruktur 15 Jahre zu spät. Beide Reden waren für die Zuhörerschaft im eigenen Land bestimmt.

Die Ausnahme war der israelische Verteidigungsminister, der – um seine Aussage recht genau zu paraphrasieren – davor warnte, dass der Iran bald an einem Punkt angelangt sei, wo militärische Angriffe auf seine Nukleareinrichtungen zwecklos seien. Die Tatsache, dass sich die Israeli in militärischen Angelegenheiten nur selten vertun, macht die Androhung von Aktionen glaubwürdiger als die neuesten Versprechungen der führenden EU-Politiker.

Selbstverständlich ist dies nicht zum Lachen, denn ein israelischer Angriff auf den Iran animiert Letzteren möglicherweise dazu, die Öllieferungen durch die Strasse von Hormus zu stören, was die Ölpreise in die Höhe schnellen und die Versorgung Asiens und Europas gefährden würde. Dies ist ganz klar die geopolitische Wildcard, die es 2012 zu beobachten gilt.

Hoffnung auf eine Reform der Eurozone
Abgesehen von der Geld- und Währungspolitik versuchten die politischen Entscheidungsträger der Eurozone, gute Miene zum bösen Spiel zu machen: Sie behaupteten zwar, dass sie zur Lösung der Eurozonenkrise alles Notwendige zu tun bereit seien, wagten jedoch nicht zu benennen, was damit gemeint sei, oder ein substantielles Übereinkommen zu treffen. Damit ist zu erwarten, dass die europäische Wirtschaft im Niemandsland zwischen massiver Rezession und Stagnation steckenbleiben wird. Die Erwartungen auf eine Reform sind richtigerweise herabgestuft worden.

Zwei Langzeittrends im Rampenlicht

Während die Eurozonenkrise in Davos für viel Gesprächsstoff sorgte, sind andere Langzeittrends so wichtig geworden, dass sie nicht mehr ausser Acht gelassen werden dürfen. Dabei handelt es sich um das fortschreitende Entstehen einer «zweigeteilten Weltwirtschaft», in der die Nationalwirtschaften der Schwellenmärkte weiterhin schneller wachsen als ihre westlichen und japanischen Pendants. Damit ist nicht gesagt, dass die Schwierigkeiten im Westen die Schwellenmärkte nicht beeinträchtigen werden; vielmehr geht es darum, dass die unterschiedlichen Wachstumsvorteile dieser Märkte aufrechterhalten worden sind, was es für die Wirtschaftsführer noch wichtiger macht, in diese Zukunftsmärkte zu investieren. Die geopolitische Sanduhr läuft für alle weiter, auch während einer Krise.

Den Besorgnissen über die hohen Jugendarbeitslosigkeitsraten in den austeritätsgeplagten reicheren Ländern wurde ebenfalls grosse Beachtung geschenkt. In dieser Hinsicht war der sogenannte «Davos Man», der ungerührte Befürworter der Globalisierung, mit seinem Latein am Ende. Während einige Geschäftsleute einräumten, dass zur Bewältigung der Ungleichheit ein wirkungsvoller Staat vonnöten und eine sichtbare Thematisierung dieser Angelegenheit eine Voraussetzung für die Aufrechterhaltung öffentlicher Unterstützung für die Globalisierung sei, waren nur wenige dazu bereit, das Argument weiter zu verfolgen und für konkrete Regierungsinitiativen einzutreten. Keine führende Geschäftsperson wagte auszusprechen, dass ein progressiveres Steuersystem Teil der Lösung sein könnte.

War das World Economic Forum am Ende seiner Weisheit?
Einige «Davos Men» verquickten die «Herausforderung» der Ungleichheit mit dem iranischen Nuklear-«Problem» (man beachte, wie die zur Beschreibung von Schwierigkeiten verwendete Sprache aufweicht, sobald harte Fragestellungen zu behandeln sind) und führten ins Feld, dass beide unmöglich zu lösen seien. Der Kaiser gibt höchst selten zu, dass er keine Kleider hat, aber hier hatte das Eingeständnis einen klaren Sinn und Zweck: den Zuhörer davon zu überzeugen, die politische Besorgnis wegzustecken und den Status quo zu akzeptieren. Dies ist eine ziemlich dreiste Strategie, nicht zuletzt im Hinblick auf die fortdauernde Praxis, der Teppichetage erkleckliche Boni auszurichten. Auch wenn man versucht sein könnte, die Unverfrorenheit der «Davos Men» zu bewundern, war 2012 doch das Jahr, wo sie schlussendlich eingestehen mussten, nicht die ganze Weisheit gepachtet zu haben.

Photo: WEF

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