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Meinungen - 24.11.2011 - 00:00 

Können Experten Italien reparieren?

Wenn es ernst wird, vertraut Italien sein Schicksal lieber Experten wie Mario Monti an. Politikwissenschaftler Daniele Caramani über notwendige Reformen und die politische Lage des Landes.

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23. November 2011. Ungewählte Fachleute – «Technokraten», wie man sie in Italien nennt – werden in solchen Fällen zu Hilfe gerufen, um in Ordnung zu bringen, was die gewählten Volksvertreter angerichtet haben. Und auch 2011, wie schon mehrfach in der Vergangenheit, stehen diese Wirtschaftsexperten, Unternehmer, Professoren und Intellektuellen vor einer gewaltigen Aufgabe. Was Italien derzeit zu bewältigen hat, ist die schlimmste Krise seit 1992-94, ja vielleicht seit dem 2. Weltkrieg.

Bemerkenswert ist, wie schnell diesmal das Heft an die Spezialisten übergeben wurde. Ohne die Möglichkeit einer politischen Alternative auch nur in Betracht zu ziehen, hat Staatspräsident Giorgio Napolitano den ehemaligen EU-Kommissar Mario Monti, seines Zeichens Ökonom und Präsident der Bocconi-Universität Mailand (sozusagen der HSG Italiens), zum Ministerpräsidenten ernannt. Und die Abgeordneten? Sie haben es geräuschlos hingenommen und innert drei Tagen (!) einen Sparhaushalt verabschiedet, in beiden Kammern. Sie haben getan, was man ihnen gesagt hat; wie Kinder, wenn sie merken, dass es Ärger gibt.

Europa kann sich den Ausfall Italiens nicht leisten
Die letzte vergleichbare Situation war die Krise 1992-94, als die sogenannte Erste Republik zusammenbrach – unter Korruptionsskandalen, sowie angesichts des Risikos, Italien könne den Euro-Beitritt verpassen. Bis 1996 folgten drei Expertenkabinette: unter der Leitung der Zentralbanker Azeglio Ciampi und Lamberto Dini sowie unter dem Vorsitz des Wirtschafts- und Rechtswissenschaftlers Giuliano Amato. Damals wie heute stand man unter Druck von seiten Europas. Damals konnte Italien es sich nicht leisten, beim Euro aussen vorzubleiben; heute kann Europa sich den Ausfall Italiens nicht leisten. Deswegen wurde Montis Nominierung vom neuen EZB-Präsidenten Mario Draghi ebenso unterstützt wie von Deutschland und Frankreich. Auch die Unternehmer wussten 1992 wie heute, dass ein Ausschluss aus der Euro-Zone katastrophale Folgen für die italienische Wirtschaft hätte; so setzt sich auch der Arbeitgeberverband für den Regierungswechsel ein.

In Wirklichkeit ist die Krise, die wir heute sehen, immer noch dieselbe Krise wie damals. Während acht Regierungsjahren unter Berlusconi und Bossi, dem Vorsitzenden der populistisch-separatistischen Lega Nord, sind die Probleme ebenso ungelöst geblieben wie nach siebenjähriger Regierungsverantwortung der Linken; und jetzt sind wieder die Spezialisten dran. Sie haben zwar kein Mandat vom Wähler, dafür aber den Vorteil, dass sie dem politischen Kalkül nicht unterliegen. Werden die Experten also in der Lage sein, Italien aus der Krise zu führen? Wahrscheinlich nur vorübergehend, bis das Gröbste überstanden ist. Sie werden die Staatsverschuldung unter Kontrolle bringen, die Glaubwürdigkeit Italiens gegenüber den Finanzmärkten und europäischen Partnern wiederherstellen und dafür sorgen, dass Italien in der Euro-Zone verbleiben kann.

Reformen für ein modernes Italien

Dabei wären viel tiefgreifendere Reformen nötig. Italien braucht mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt, ein weniger korruptionsanfälliges Fiskalsystem, höhere Investitionen im Bildungssektor, weniger Bürokratie für Unternehmen, mehr Wettbewerbsfähigkeit und effizientere Institutionen, die weniger verschwenden. Um die Attraktivität des Standorts für ausländische Investoren zu steigern, muss das Rechtssystem verbessert werden; die Privilegien gewisser Berufsstände und Altersgruppen müssen beseitigt, der Einfluss der Kirche reduziert, Frauen und Jugendliche stärker gefördert werden als bisher. In einem Wort: Italien bedarf der Modernisierung, wirtschaftlich, gesellschaftlich und kulturell. Genau hier liegt das Versagen der Berlusconi-Ära.

Dies ist keine Aufgabe für Technokraten, Experten oder Spezialisten gleich welcher Profession. Was Italien vor allem braucht, ist eine starke Regierung, die durch ein belastbares Volksmandat über die nötige Autorität verfügt, um das Land in eine neue Zukunft zu führen. Italien braucht eine Regierung, die Zukunftvisionen hat und das Volk für diese begeistern kann; eine Regierung, die den Mut hat, offen auszusprechen, wie gross die Probleme tatsächlich sind und was zu ihrer Lösung getan werden muss – ohne Angst haben zu müssen, bei den nächsten Wahlen abgestraft zu werden.

Expertenkabinett auf Zeit
Ein Expertenkabinett, krisenbedingt aus Fachleuten zusammengesetzt, ist von Natur aus auf kurze Dauer angelegt und kann der Nation kaum den Weg in die Zukunft weisen. Die neue Regierung unter der Leitung von Monti wird höchstens bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode im April 2013 Bestand haben. Spätestens dann muss die politische Elite die Zeichen der Zeit erkennen und zeigen, dass sie der eigentlichen, grossen Aufgabe gewachsen ist. Wenn das nicht gelingt, droht Italien der langsame, aber sichere Abstieg.

Bild: Photocase / Marqs

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