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Meinungen - 17.11.2011 - 00:00 

Italien im Umbruch

Nach 17 Jahren Berlusconi scheint Italien sich neu erfinden zu müssen. Wie wird sich das Land entwickeln? Ist es möglich, die eingefahrene politische Situation zu ändern? Eine Einschätzung von Professor Renato Martinoni.

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16. November 2011. Die Ära Berlusconi, so meinen viele Politik-Experten, sei vorbei. Nach 17 Jahren unter dem Einfluss des umstrittenen «Medien-Moguls» scheint Italien vor einem neuen Szenario zu stehen. Aber welchem? Alte und neue Probleme rücken ins Zentrum der Debatte: die Schwäche des politischen Systems, die Unzuverlässigkeit der Institutionen, die übertriebenen Kosten des Staatsapparates. Zudem ist es eine unaufschiebbare Pflicht, für das Problem der öffentlichen Staatsverschuldung eine rasche und konkrete Lösung zu finden.

Berlusconis Erbe

Berlusconis politisches Programm stützte sich angeblich auf liberale Werte, die in der Realität mit Liberalismus aber wenig zu tun hatten. Er verfolgte in der Tat nur ein Ziel: nämlich nicht, wie er immer behauptete, das Schreckgespenst des Kommunismus zu bekämpfen, sondern seine eigenen individuellen Interessen zu pflegen und seine persönlichen Konflikte mit der Justiz einzudämmen. Unvermeidliche Folgen dieser Strategie waren die starke Personalisierung und die ständige Mediatisierung, sogar die «Spektakularisierung» der Politik. Berlusconi stilisierte sich oft als Opfer der Schikane politisierter Staatsanwälte und Richter. Er stützte sich auf den Optimismus der Populisten, um die Realität zu schonen. Aber auch, um die wahren Probleme nicht zu lösen, sondern einfach zu verstecken oder zu vertagen, um ein schlechtes Bild Italiens in aller Welt zu nähren. Das heutige Italien ist ein sozial und politisch problembeladenes Land. Noch problematischer als früher.

Politik auf drei zerbrechlichen Säulen

Drei Säulen tragen das politische System: Mitte-Rechts-, Zentrum- und Mitte-Links-Koalitionen. Jede Säule ist ihrerseits weiter unterteilt: Die national orientierte «Partei der Freiheiten», von Berlusconi gegründet, arbeitet - nur im Namen der Realpolitik - mit der regionalistisch-autonomistischen «Lega Nord» zusammen. Die post-kommunistische «Demokratische Partei» könnte nicht ohne die Unterstützung der radikalisierten «Italien der Werte» regieren. Das Zentrum besteht aus «Post»-Katholiken, -Kommunisten, -Liberalen, ohne ein gemeinsames Programm. Der Mangel an politischem Austausch und an glaubwürdigen Persönlichkeiten in der Politik macht das Ganze fast funktionsunfähig.

Die Chancen der neuen Regierung
Drei Szenarien waren nun offen. Eine neue, von einem «Dauphin» Berlusconis gesteuerte Regierung − die ordentliche Legislaturperiode würde eigentlich erst 2013 enden; frühzeitige Neuwahlen anberaumen, in etwa in zwei bis drei Monaten; oder die sofortige Bildung einer «technischen» Regierung. Die dritte Lösung begrüsst die Politik am wenigsten. Gleichwohl befürworten zwei Drittel der italienischen Bevölkerung diese Variante. Der Präsident der Republik, dem Pflicht und Recht zustehen, während einer Krise den politisch vernünftigsten Weg vorzuschlagen, hat sich für die dritte Variante entschieden. Er hat den Wirtschaftsprofessor Mario Monti einberufen, der zuvor als Rektor und später Präsident der Università Bocconi sowie EU-Kommissar (1994-2004) tätig war. Als unabhängiger, liberal orientierter Wissenschaftler geniesst er das Vertrauen vieler Italiener.

Trotzdem scheint seine politische Aufgabe, da die Regierung nur aus «Technikern» besteht, eher schwierig zu sein. Das Risiko, dass die italienische politische Klasse ihn nicht arbeiten lässt, ist sehr gross. Aber Mario Monti scheint sehr entschlossen und zielstrebig zu sein. Es wäre wünschenswert, dass niemand ihm Steine in den Weg legt, und er seine schwierige Aufgabe durchführen kann.

Hoffnungen der italienischen Gesellschaft

Viele Italienerinnen und Italiener schauen heute, «et pour cause» skeptisch auf die politische Welt. Der Staat wird in Italien traditionellerweise eher als Feind denn als Freund betrachtet. Aber Italien bedeutet nicht nur das politische Italien. Es gibt auch das der Italiener. Eine radikale Erneuerung der politischen Welt wäre sicherlich notwendig. Wie aber soll das vonstatten gehen? Italien scheint eher ein «Vorfall» als ein «Sonderfall» zu sein. Ein interessantes Untersuchungslabor, um die Dynamik der europäischen Politik besser verstehen zu können.

Foto: Photocase / Leonard

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