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Meinungen - 24.11.2011 - 00:00 

Kreditgeber in letzter Instanz

Sollte die Europäische Zentralbank (EZB) Staatsschulden direkt den Regierungen abkaufen? Wie sehen die Argumente dafür und dagegen aus? Ein Expertenkommentar von Professor Simon Evenett.

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24 November 2011. Trotz konsequenter Opposition seitens deutscher Führungspersönlichkeiten und Wirtschaftsexperten wird vielerorts nach wie vor die Hoffnung gehegt, die Europäische Zentralbank (EZB) werde letztendlich einschreiten und die traditionelle Rolle des Kreditgebers letzter Instanz spielen, indem sie die Staatsschulden direkt den Regierungen abkauft. Für viele Deutsche triumphiert hier die Hoffnung einmal mehr über die Erfahrung. Trotzdem wird die EZB weiterhin aufgefordert, italienische und spanische Anleihen aufzukaufen. Welche Seite wird die Oberhand gewinnen? Auch wenn sich die deutsche Haltung schliesslich nicht durchsetzt: Ist man sich tatsächlich immer noch sicher genug, dass die Vorgehensweise der EZB nicht auf verhängnisvolle Weise kompromittiert ist?

Ominöse Zeichen auf dem Markt
Anleger verlangen als Kompensation für den wachsenden Zweifel an der Rückzahlung eine höhere Rendite für Staatsanleihen. Die höheren Zinssätze leisten der Besorgnis darüber Vorschub, ob gewisse Staaten in der Lage sind, ihre Kreditverbindlichkeiten zurückzuzahlen, was wiederum zu noch höheren Ansprüchen seitens der Anleger führt. Die Voraussetzungen für einen Teufelskreis höherer Zinssätze, Zahlungsunfähigkeit und eingefrorener Anleihenmärkte sind damit gegeben.

Es wird kaum bezweifelt, dass es im Verlauf der nächsten paar Wochen von einer entschlossenen Vorgehensweise abhängen wird, ob sich der Teufelskreis demnächst zu drehen beginnt oder nicht. Nur schon der schiere Umfang der bis April 2012 zu refinanzierenden italienischen Anleihen – rund 200 Mia. Euro – richtet das Augenmerk auf eine einfache Frage: Wo soll das Geld herkommen? Die EZB indes benötigt keine dicke Brieftasche – sie kann so viel Geld drucken, wie sie will.

Befürworter einer Grossintervention durch die EZB führen ins Feld, dass die Erwartung einer andauernden Intervention den Inhabern von Eurozone-Anleihen stabile Anleihekurse sicherstellen wird, womit sie vor Verlusten grossen Ausmasses geschützt seien. Wenn die EZB sich darüber hinaus verpflichtet, die finanziellen Bedürfnisse der peripheren Länder über eine unbestimmte Zeitspanne hinweg zu decken, beseitigt sie das Risiko eines Staatsbankrotts und die damit verbundenen Ängste über nachteilige Dominoeffekte auf das Bankensystem.

Eine Frage der Unterstützung
Der für den Erfolg dieser Strategie absolut ausschlaggebende Faktor ist die Glaubwürdigkeit des Engagements der EZB, so lange bei der Stange zu bleiben, wie nötig ist. Hier kommt die deutsche Opposition zum Tragen. Wenn wir annehmen, dass morgen angekündigt würde, die EZB würde offensiv als Kreditgeber letzter Instanz einschreiten, würden dann nicht mit Bestimmtheit Zweifel am effektiven Ausmass der deutschen Unterstützung für die neue Politik ruchbar?

Schliesslich gründet der deutsche Widerstand zu einem grossen Teil auf einem vermeintlich geteilten Verständnis der eigenen Geschichte mit der Hyperinflation der Zwischenkriegsjahre. Würde sich dies Knall auf Fall verändern? Dazu kommt, dass 2013 eine neue deutsche Regierung am Ruder sein wird, die eine andere Haltung einnehmen könnte. Eingedenk all dessen stellt sich die Frage, wie glaubwürdig eine abrupte Veränderung des deutschen Standpunktes wäre. Letztlich könnten die eigentlichen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Stabilisierung der Anleihenmärkte in der Eurozone bereits untergraben worden sein. Die Märkte werden nicht vergessen, welche Regierung die grösste Aktionärin der EZB ist.

Ist Glaubwürdigkeit möglich?

Diese Argumente zeigen die Berge auf, welche die EZB zu erklimmen hat, um die Marktteilnehmer davon überzeugen zu können, dass sie in der Lage ist, ein Programm für die Anleihenmärkte durchzuziehen.

Es kann gut sein, dass Europas Geldpolitik-Falken die Schlacht verlieren, aber den Krieg gewinnen werden. Die Art und Weise, in der die Gegner eines umfassenden Schuldenaufkaufs durch die EZB ihre Argumente vorgebracht haben, würde eine Kehrtwendung der Falken unter den Regierungen alles andere als glaubwürdig erscheinen lassen. Die Befürworter einer «Lender of Last Resort»-Funktion für die EZB werden alle Hände voll zu tun haben.

Bild: Photocase / Elektromolch

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