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Leute - 11.10.2021 - 00:00 

Zwischentöne hören und spielen

Professor Elgar Fleisch ist Direktor am Institut für Technologiemanagement an der Universität St.Gallen. Mit seinem Bruder bildet der gebürtige Vorarlberger das Duo Fleisch & Fleisch und spielt Mundartmusik made im Ländle. Mehrstimmigkeit schätzt Fleisch nicht nur in der Musik – verschiedene Welten bereichern auch die Forschung.

11. Oktober 2021. Forschung, Wirtschaft und Musik: das sind die Welten, in denen sich Professor Elgar Fleisch bewegt. Seit 2004 hat Fleisch eine Doppelprofessor an der ETH Zürich und an der Universität St.Gallen inne. Als Forscher dreht sich seine Welt um die Verschmelzung der physischen mit der digitalen Welt und um das Internet der Dinge. Elgar Fleisch maturierte in Maschinenbau und studierte Wirtschaftsinformatik, verfasste seine Dissertation zu Künstlicher Intelligenz und habilitierte ab 1994 am Institut für Wirtschaftsinformatik an der Universität St.Gallen zu Unternehmensnetzwerken.

Funktionierende Geschäftsmodelle entwickeln

Zwei Jahre später unterbrach Elgar Fleisch seine Post-doc Zeit für ein Jahr, um in Philadelphia, USA, die Firma IMG Americas aufzubauen. Später folgten zwölf weitere Firmengründungen. Elgar Fleisch interessiert nicht nur, wie die physische und digitale Welt immer stärker verschmelzen, er möchte daraus auch funktionierende Geschäftsmodelle entwickeln. In Verwaltungsräten, in denen er sitzt, kann Elgar Fleisch seine Erkenntnisse aus der Forschung einbringen. Die Erfahrungen aus den Unternehmen fliessen wiederum in Lehre und Wissenschaft.

Beinahe Laufbahn als Cellist eingeschlagen

Elgar Fleisch wuchs in einer musikalischen Familie auf, alle fünf Kinder spielten ein Instrument. Der heutige Professor spielte schon als Kind Gitarre, Klavier und Cello – er hat denn auch überlegt, eine Berufskarriere als Cellist einzuschlagen. Nach einem Sommer in der Jugendsymphonie musste er sich eingestehen, dass er nicht zu den Besten gehört. Von der Musik abgewandt hat sich der Vorarlberger aber nie. Mit seinem Bruder Gerald, einem ausgebildeten Tenor, bildet er das Duo Fleisch & Fleisch, zusammen haben sie neun Alben aufgenommen. Das Duo ist vor allem in Vorarlberg bekannt, dort läuft die Mundartmusik regelmässig im Radio. «Für uns ist das Musikmachen ein selbsttragendes Hobby, an dem wir ein Riesengaudi haben», sagt der musizierende Professor.

Text mit Fleisch am Knochen

Bei Mundartliedern sind die Texte besonders wichtig. Beide Brüder schreiben ihre eigenen Texte und geben sich dann gegenseitig Rückmeldungen. Die strengsten Kritiker sind sie sich selbst: «Bei den Texten ist es wichtig, dass sie nicht deppert und banal klingen.» Die Texte sollen positiv, zuversichtlich, gleichzeitig konstruktiv und kritisch sein – und ganz wichtig: Humor darf nicht fehlen. Inspiriert werde Elgar Fleisch meist nach einer Phase der Anspannung, wenn die Entspannung eintritt. So fiel ihm der Text des schwerelosen Liedes «sG» auf dem Album «Schmeattaling» nach einem anspruchsvollen Vortrag zu. Er schrieb den Text nieder, verlor kurz darauf allerdings den Zettel mit dem Text im Zug. Doch die Inspiration war so intensiv, dass der Text noch immer präsent war. So leicht fliesst es natürlich nicht immer.

Gegen das «Ein-Welt-Denken»

Menschen, die denken, man könne nur eine Arbeitsform seriös gestalten, nennt er «Ein-Welt-Denker» – oder etwas direkter: «Amöben». «Verschiedene Welten sind bereichernd», ist Elgar Fleisch überzeugt. «Gegenüber meinen Studentinnen und Studenten betone ich immer wieder, wie wichtig es ist, dass sie verschiedene Denkwelten beherrschen.» So wird beispielsweise im Jus-Studium die Fähigkeit vermittelt, sich in das Gegenüber hineinzuversetzen, Informatik hingegen fördert strukturiertes Denken. «Einen Fachbereich durchdringen heisst, eine Denkwelt beherrschen.» Mehrere Denkwelten zu beherrschen sei zwar anstrengend, doch für Fleisch die einzige Möglichkeit, einer Universalbildung näherzukommen.

Üben, üben, üben – auch zu scheitern

Nach aussen sind Forschung und Musik bei Elgar Fleisch getrennt; diese Welten mag er nicht vermischen. Es bestehen jedoch zahlreiche Parallelen zwischen Forschung und Musik. So habe das Singen auf der Bühne einen Vorteil für das Auftreten im Hörsaal. Auch in der Forschung sei es zudem sehr wichtig, Zwischentöne zu hören und zu spielen. Bei der Disziplin stellt der Professor für Informations- und Technologiemanagement ebenfalls einen Vergleich zur Musik an: Erfolg hat in der Musik und in der Forschung nur, wer hart dafür arbeite – Talent allein reiche nicht. Sowohl in der Musik als auch in der Forschung müsse man mit Niederlagen umgehen können. Ein Konzert vor zwei Personen sei eine gute Ausgangslage, auch mal zu scheitern.  

Ideen in ein Gefäss bringen

Warum setze ich etwas um? Welche überzeugende Geschichte erzähle ich? Wie realisiere ich mein Vorhaben? Was lasse ich zu, was lasse ich weg? Diese Fragen stehen sowohl zum Beginn eines Forschungsprojekts als auch vor dem Schreiben und Komponieren eines Liedes. Eine Idee genüge noch nicht – man müsse sie in ein passendes Gefäss bringen. «Ich finde den Prozess von der Idee bis zum Produkt spannend. Wenn ich beispielsweise Gesundheitszustände plötzlich einfach digital messen kann, ist das vergleichbar mit einer Komposition, die scheinbar aus dem Nichts entsteht. Auch das Einstehen für eine Idee zeigt Parallelitäten: in der Forschung präsentiere ich ein Projekt, in der Musik trage ich das Lied vor – ein ganz besonderer Moment.» Diesen Moment geniessen Fleisch & Fleisch am liebsten live. Auch deshalb verzichten sie während der Pandemie auf gestreamte Konzerte. Ab 2023 tritt das Vorarlberger Duo wieder auf der Bühne auf.

https://www.fleischundfleisch.com/

Text: Sabrina Rohner

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