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Hintergrund - 04.06.2021 - 00:00 

Der Laden ist tot – lang lebe der Laden!

Irgendwie leiden doch alle unter Corona, aber nicht alle gleich. Besonders die stationären Geschäfte traf es, mussten sie doch zweimal die Türen schliessen. Die Freude über die Öffnung war umso grösser. Es bildeten sich Staus, wie wenn zu Spitzenzeiten der Autoverkehr durch den Gotthard Richtung Süden drängt. Eine Unstimmigkeit könnte sich so mancher Konsumierende denken, denn dem physischen Handel wird doch oft der Tod vorhergesagt. Aber stimmt das wirklich? Oder hat Corona ihm lediglich eine Verschnaufpause gegeben. Student Manuel Frommelt hat darüber mit Kristina Kleinlercher gesprochen.

4. Juni 2021.

Frau Dr. Kleinlercher gleich zu Beginn: glauben Sie, dass der physische Handel ausstirbt?

Da muss ich schmunzeln. Diese Frage stellen uns auch so manche Händler. Wir sagen dann üblicherweise nein. Der stationäre Handel muss sich aber ein bisschen transformieren.

Waren Sie dennoch überrascht, dass die Geschäfte nach den Öffnungen überrannt worden sind?

Ich habe mit einem Ansturm gerechnet. Es ist erfreulich, dass mich mein Gefühl nicht getäuscht hat.

Was war Ihrer Meinung nach der Grund für diesen Ansturm?

Ich habe in der Corona-Zeit mit vielen Menschen über das Einkaufen gesprochen. Die geschlossenen Läden waren immer ein Thema, beruflich und privat. Die Leute konnten es fast nicht erwarten, wieder physisch einkaufen zu gehen. Sie vermissten diese Normalität. Einfach mal schauen zu können, was es gibt. Auf diese Weise lassen sich viele auch beim Einkaufen inspirieren.

Gibt es weitere Gründe, wieso die Menschen das Einkaufen in physischen Geschäften vermisst haben?

Ich bin der Meinung, dass der klassischen Laden Vorteile bringt, welche die online-Welt aktuell nicht bieten kann. Denken wir hier an die Beratung durch das Personal oder das Erleben von Produkten mit allen fünf Sinnen. Online fehlen oft auch die sozialen Aspekte. Viele Menschen lieben es gemeinsam mit Freunden oder der Familie einzukaufen.

Wie haben Sie persönlich die Zeit erlebt?

Anfangs fand ich es nicht so schlimm. Gewohnheitskäufe erledige ich ohnehin gerne online. Nach ein paar Wochen ist es mir dann aber auch abgegangen. Umso mehr habe ich mich gefreut, als ich wieder in die Läden gehen konnte. Gerade Geschenkeinkäufe sind für mich online mühsam. Im Laden kann ich nämlich schauen, was es so gibt. Das weckt bei mir die Kreativität.

Im Verlauf des Gesprächs haben wir bereits online und offline Kanäle angeschnitten. Jetzt gibt es da aber auch Händler, die beide Kanäle nutzen. Was haben die für Merkmale?

Genau. Es gibt Händler, die gleichzeitig physische und digitale Kommunikations- und Distributionskanäle betreiben. Das heisst, sie verkaufen z.B. über Filialen und über einen eigenen Online-Shop. Einige von ihnen verbinden die Kanäle nutzenstiftend für sich und für ihre Kunden. Diese nennt man Omni-Channel Händler.

Wie dürfen sich Konsumierende eine solche Vernetzung vorstellen?

Unternehmen können z.B. kanalübergreifende Services anbieten. Dann gelten z.B. Loyalitätsprogramme online und offline. Oder sie bieten ihren Kunden an, ihre gesammelten Rabatte in der Filiale und im Online-Shop einzulösen. Bei einer guten Vernetzung merke ich als Konsument:in keinen Unterschied zwischen den Kanälen. Es sollte möglichst egal sein, ob ich online oder offline einkaufe.

Welche Vorteile geniessen Konsumierende dadurch?

Im Online-Shop kann ich z.B. 24/7 einkaufen und im Internet auf viel mehr Informationen zurückgreifen als in der physischen Welt. Die wenigen Klicks bis zum abgeschlossenen Kauf machen es gleichzeitig bequem. Im klassischen Laden kann ich dafür das Produkt direkt mit nach Hause nehmen. Ich habe also keine Lieferfrist. Zudem kann ich fachkundige Beratung vor Ort nutzen. Auch das Erlebnis mit allen fünf Sinnen ist möglich. Wenn die Vernetzung gut funktioniert, kann ich als Konsument:in von beiden Vorteilen profitieren. Je nach Situation kaufe ich online oder offline, je nachdem was mir gerade lieber ist.

Welchem Kundentyp gefällt das?

Die Webroomer wären ein Beispiel. Man sagt zu Webroomern auch Online- zu-Offline-Shopper. Diese Kund:innen recherchieren vorab online und kaufen schlussendlich im physischen Geschäft. Sie wechseln also vom Online- zum Offlinekanal. Dabei profitieren sie von der Informationsfülle in der Vorkaufsphase und gleichzeitig vor Ort von den zuvor genannten Vorteilen.

Helfen die Webroomer dem stationären Laden?

Das hängt von verschiedenen Faktoren ab, wodurch eine allgemeingültige Aussage hier kaum möglich ist. Die Verbreitung von Webrooming unterscheidet sich von Branche zu Branche. In der Lebensmittelbranche ist Webrooming beispielsweise aktuell nicht sonderlich stark verbreitet. Webrooming kann für den stationären Laden nützlich sein. Wenn man es schafft, Kund:innen von der online-Welt in seine physischen Läden zu locken, dann profitiert man mitunter von Spontankäufen, von erhöhter Kundeninspiration und/oder von einer höheren Kundenbindung im Laden. Wenn es auch gelingt, Kund:innen von der Konkurrenzwebsite in seinen eigenen physischen Laden zu locken, ist es natürlich besonders profitabel. Denn so kann man neue Kunden akquirieren. Es gilt aber zu beachten, dass kanalübergreifende Shopper gut über Produkte und Preise informiert sind. Womöglich landen einige nach dem Besuch meines Online-Shops im physischen Laden der Konkurrenz.

Was kann neben Webrooming dem physischen Handel noch helfen?

Auf der einen Seite die Flagshipstores. Bei diesem Ladentyp wird versucht, das Erlebnis beim Einkaufen zu erhöhen. Auf der anderen Seite ist alles, was mit der Nutzung von Smartphones in physischen Läden zu tun hat, aktuell sehr beliebt.

Sind Flagshipstores im Handel bereits stark verbreitet?

Wir sehen im Moment, dass einige Händler ihr Filialnetzwerk verkleinern (müssen). Manche Filialen werden geschlossen, während Läden an bester Lage zu Flagshipstores umgebaut oder als Flagshipstores an neuen besten Lagen eröffnet werden. In diese Flagshipstores investieren Händler oft reichlich Geld, um die Markenbekanntheit, das Einkaufserlebnis und das Markenimage zu stärken. Flagshipstores sollen möglichst viele Kunden anlocken und dabei helfen, die Marke und ihre Produkte erlebbar zu machen. Gekauft wird dann aber oft nicht direkt vor Ort, sondern in anderen Kanälen. Das kann z.B. über das Smartphone im Laden geschehen. Das führ dazu, dass Flagshipstores oftmals nicht profitabel sind, wenn man bloss die direkten Umsätze pro Quadratmeter betrachtet.

Was ist ihre persönliche Einschätzung zum physischen Handel der Zukunft?

Bei Lebensmitteln ist das physische Einkaufsverhalten immer noch prominent – vor allem im DACH-Raum. Das wird sich in naher Zukunft wohl auch nicht massgeblich ändern. Non-Food Händler sind hingegen stärker von der Digitalisierung betroffen. Sie müssen sich mehr auf die Stärken des stationären Einkaufens konzentrieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Aussergewöhnliche Beratung, Erlebnis mit allen fünf Sinnen, kanalübergreifende Services sind nur einige Beispiele dieser Stärken. Solange die Vorteile aus Kundensicht da und die Kosten nicht zu hoch sind, wird der Kunde auch weiterhin den physischen Laden nutzen.

Frau Dr. Kristina Kleinlercher ist Post-Doc an der Universität St.Gallen. Sie beschäftigt sich in ihrer Forschung schwerpunktmässig mit kanalübergreifendem Kundenverhalten. Daraus leitet sie Handlungsempfehlungen für Händler ab. Zudem untersucht sie den Einsatz neuer Technologien und die Gestaltung des Kundenerlebnisses im Handel.

Manuel Frommelt absolviert den Master in Marketing Management. Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Werkstatt des Lehrprogramms Wirtschaftsjournalismus unter der Leitung von Stefanie Knoll, SRF, und ist Teil der Serie zum Thema «Geld oder Glück».

Bild: Adobe Stock / Seventyfour

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