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Hintergrund - 08.06.2021 - 00:00 

NFT im Kunstmarkt – Trugbild oder Meisterwerk?

Sie können beliebig verbreitet werden und doch gibt es nur ein digitales Unikat: Leandro Neff über die zunehmende Bedeutung von Non-fungible Tokens (NFT) im Kunstmarkt.

8. Juni 2021. Seit mehr als vierzehn Jahren veröffentlicht der Amerikaner Mike Winkelmann, gelernter Informatiker, täglich ein Bild im Internet. Insgesamt 5000 Werke, von welchen der 38-jährige kaum eines verkauft hat. Ein gewisser Vincent van Gogh hatte als junger Künstler das gleiche Problem und verbrachte seine Tage im Armenhaus. Die Geschichte von Winkelmann hingegen nahm diesen März eine Wendung. Das Auktionshaus Christie’s versteigerte eine Collage seiner Bilder für 69 Millionen $. «Everydays: The First 5000 Days» macht Winkelmann, alias Beeple, zu einem der reichsten noch lebenden Künstler der Welt. Das spezielle daran, sein Werk hängt weder im Louvre noch sonst in einem Museum, da es lediglich digital existiert. Es handelt sich um ein sogenanntes Non-fungible Token, kurz NFT.

Jeder kann Beeple’s Collage ausdrucken oder per E-Mail weitersenden, trotzdem gibt es nur ein digitales Original. Der Käufer eines NFT bezahlt mit Kryptowährung und erhält dafür einen Code, mit welchem er die Echtheit des Unikats innerhalb von Sekunden überprüfen kann. Die Anwendung von NFT ist nicht auf Bilder beschränkt. Videos, Musik, Computerspiele oder auch Websites können als NFT verkauft werden. Nicht nur in Amerika, sondern auch in der Schweiz wächst das Interesse an NFT. Ich traf zwei Appenzeller, Silyas Bieri und Ilio Richter, welche auf dem NFT-Kunstmarkt aktiv sind.

Wie erschafft man ein NFT und wer kauft so etwas?

Silyas, ein Informatiker, und Ilio, ein Student und Hobbykünstler, bilden das Duo mit dem Namen Rainbois. Seit wenigen Wochen produzieren die beiden NFT. Die Devise war, «wenn Beeple ein digitales Bild verkaufen kann, dann können wir das auch». Und tatsächlich braucht man nur ein Benutzerkonto, um seine NFT zu verkaufen. Den Marktzutritt auf der digitalen Kunst-Plattform Opensea kostete die Rainbois 80 CHF, dazu kommt eine Gebühr von 2.5% pro Transaktion. Wie Beeple kreieren Rainbois ihre Bilder am Computer. «Wir ergänzen uns ziemlich gut, einer macht die Designs und der andere leistet die Programmierarbeit».

Wieso kaufen Menschen ein kopierbares Werk, welches nur digital existiert? Die Rainbois ziehen Parallelen zum traditionellen Kunstmarkt. «Die digitale Signatur macht es einfacher, den emotionalen Wert eines Kunstwerks zu binden». Auch in der klassischen Kunst können Bilder nachgemalt oder gefälscht werden. NFT brauchen aber keinen Kunstexperten, um die Echtheit eines Bildes zu verifizieren. Die Blockchain-Technologie bietet dem Käufer des Bildes eine hohe Sicherheit, dass er tatsächlich das Original besitzt. Dabei werden kein Urheber- oder Vermarktungsrecht weitergegeben, weil die Künstler nur das Eigentum an ihren Werken verkaufen.

Allein im ersten Quartal 2021 wurden NFT im Wert von zwei Milliarden $ gehandelt. Einige Experten sehen in dieser Entwicklung eine Kombination aus Hype und Spekulation. Die Rainbois teilen diese Einschätzung, «unsere Bilder verkaufen sich primär deshalb, weil andere User davon ausgehen, dass sie sie später für ein Mehrfaches weiterverkaufen können». Das Duo ist aber ganz klar der Meinung, dass NFT sich in Zukunft etablieren. Ein Zeichen der erhöhten Akzeptanz im Kunstmarkt ist das Interesse von traditionellen Auktionshäusern wie Christie’s und Sotheby’s an NFT.  

Wo ist das Geld? – Wir wissen es nicht!

Silyas und Ilio sind zufrieden mit ihren bisherigen Verkäufen. Genaue Zahlen wollen die beiden nicht nennen, «unsere Investitionen sind auf jeden Fall gedeckt». Der Hype um NFT führt dazu, dass das Angebot die Nachfrage bei weitem übertrifft. Künstler wie van Gogh entwickelten ihren Stil ohne ökonomische Hintergedanken. Die Rainbois sehen hier einen grossen Unterschied in Bezug auf NFT, «der digitale Kunstmarkt ist hart umkämpft. Es ist wichtig für uns Trends frühzeitig zu erkennen, sich diesen flexibel anzupassen und auf den sozialen Medien vernetzt zu sein».

Die erfolgreichste Kollektion der Rainbois sind Bilder von mehrfarbigen Totenköpfen, welche meistens für 0.06 Ether angeboten werden. Ether ist eine Kryptowährung und wird für mehr als 2'000 CHF pro Einheit gehandelt. Die Rainbois haben keine Angst, dass Ether implodieren wird. «Klassische Währungen werden in naher Zukunft an Bedeutung verlieren und Kryptowährungen steigen zum neuen Standard auf». Die Rainbois erklären sich die Skepsis gegenüber NFT und Kryptowährungen durch den hohen Grad an Abstraktion. «Wir sehen in unserem Konto wie viele Ether wir besitzen, doch wo und wie dieses Geld effektiv existiert wissen wir nicht».

Nicht alles, was glänzt ist golden

Bedenken zur Sicherheit von NFT haben die Rainbois kaum. «Stromausfälle und Hackerangriffe können durch die Blockchain-Technologie und dezentralisierte Serveranlagen auf ein Minimum reduziert werden». Lediglich beim Diebstahl von geistigem Eigentum sehen die beiden noch Probleme, da Plattformen wie Opensea kaum kuratiert und reguliert werden. «Solche Prozesse müssen sich erst noch einpendeln in diesem jungen Markt, damit das Vertrauen in der Bevölkerung steigt».

Die Beispiele von Beeple und der Hype um NFT vermitteln ein trügerisches Bild. Von aussen wirkt es, als ob im digitalen Kunstmarkt jeder Smiley einen massiven Gewinn erwirtschaften wird. Silyas und Ilio relativieren «es steckt viel mehr Arbeit hinter dem Erfolg von NFT-Künstlern, als die meisten vermuten. Wir sind froh über jedes verkaufte Bild, weil die Konkurrenz mit jedem Tag exponentiell grösser wird». Zusätzlich «projizieren die sozialen Medien ein einseitiges Verständnis von NFT, da meist nur Erfolge und positive Erlebnisse geteilt werden». Die Realität sieht anders aus, die überwiegende Mehrheit von NFT-Künstlern hat auch nach Monaten noch kein einziges Bild verkauft.

Lichtblicke in Zeiten von Corona

Trotzdem können NFT einen wichtigen Beitrag dazu leisten, der von der Pandemie gebeutelten Kunst- und Kulturszene neues Leben einzuhauchen. Ein grosser Vorteil von NFT ist der Anteil von zehn Prozent, welcher der Erschaffer eines Werks beim Weiterverkauf erhält. Van Gogh verdiente an «Porträt des Dr. Gachet» keinen Rappen, hundert Jahre später wird es von Christie’s für 82 Millionen $ versteigert. Hätte er die Auktionen seiner Bilder noch miterlebt, wäre van Gogh wahrscheinlich ein Befürworter von NFT gewesen.

Aufstrebende Künstler in Zeiten von Corona haben mit der digitalen Plattform eine Möglichkeit ein breites Publikum anzusprechen, ohne von Kunsthäusern oder Kennern empfohlen werden zu müssen. Musiker, welche ohne CD-Verkäufe, Konzerte und Festivals viel weniger Einnahmen generieren, können Songs und Alben als NFT verkaufen und damit der Krise entgegenwirken. Videospiel-Produzenten verkaufen bereits jetzt virtuelle Parzellen als NFT. Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig und werden in Zukunft noch kreativer.

NFT sind Trugbild und Meisterwerk zugleich. Silyas und Ilio fassen zusammen, «momentan sind NFT noch zu volatil und spekulativ, doch in naher Zukunft werden sie nicht mehr aus unserem Leben wegzudenken sein». Die beiden Appenzeller ermutigen neue sowie auch etablierte Künstler sich an NFT heranzuwagen, denn wer fleissig und tugendhaft arbeitet wird auch in der digitalen Welt erfolgreich sein.

Leandro (23) ist Student im Master Internationale Beziehungen an der Universität St.Gallen. Im Sommer 2021 führt er sein Studium weiter an der Universidad de los Andes in Bogotá, Kolumbien. Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Werkstatt des Lehrprogramms Wirtschaftsjournalismus unter der Leitung von Stefanie Knoll, SRF, und ist Teil der Serie zum Thema «Geld oder Glück».

Bild: Rainbois

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