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Hintergrund - 14.06.2021 - 00:00 

Würde das Los die Justitia blinder machen?

Wie Bundesrichter:innen gewählt werden hing bis anhin vor allem vom Parteibuch und dem Beziehungsnetz ab. Die Justiz-Initiative möchte dies ändern und eine Wahl per Los einführen. Sie knüpft dabei an Fragen zur Unabhängigkeit der höchsten Richter:innen an. Ein Beitrag von Laura Rufer.

14. Juni 2021. Spätestens seit der Androhung der Abwahl des Bundesrichters Yves Donzallaz von seiner eigenen Partei ist die Unabhängigkeit der Richter:innen in der Schweiz ein Thema. Der SVP-Bundesrichter hatte zwei Entscheide gefällt, welche seiner Partei nicht genehm waren. Einerseits gestand er der Personenfreizügigkeit einen Vorrang vor der Masseneinwanderung zu, andererseits stimmte er der Aushändigung von Bankpapieren an den französischen Staat zu. Das Parlament wählte ihn schlussendlich dennoch wieder, ein fader Beigeschmack blieb. Drohungen mit der Abwahl und die versuchte Einflussnahme auf die Justiz durch Parteien sehen die Initiierenden der Justiz-Initiative als rotes Tuch. Laut Initiator Adrian Gasser komme die vermeintliche Staatsraison durch und das Interesse der Rechtssuchenden müsse hintenanstehen. Es komme somit nicht ein Entscheid im Sinne der Rechtssuchenden zustande. Vielmehr würden politische Ziele der politischen Parteien im Vordergrund stehen.

In einem Video des Komitees wird beschrieben, dass man sich heutzutage ein Beziehungsnetz aufbauen müsse und einer Partei beitreten müsse, um Bundesrichter:in zu werden. Dies schafft laut dem Initiativkomitee ungewünschte Konsequenzen. «Es darf nicht sein, dass Richter:innen bei Entscheiden, die nicht der Parteilinie entsprechen, mit Kritik oder gar Nicht-Wiederwahl rechnen müssen. Gewisse Parteien drohen aber damit, mittlerweile nicht nur intern, sondern gar auch medial», kommentiert Karin Stadelmann vom Initiativkomitee. Dass Yves Donzallaz schlussendlich auch ohne die SVP im Rücken die Wiederwahl geschafft hat, sehen die Gegner der Initiative als Argument für das Funktionieren des aktuellen Systems. Der Fall hinterliess jedoch Zweifel an der Unabhängigkeit der Rechtsprechenden der obersten Gerichte. Diese zeigen sich auch im Nationalrat. So hat FDP-Fraktionspräsident Beat Walti eine parlamentarische Initiative eingereicht, die Mandatssteuern und Mandatsabgaben unterbinden soll. Diese Zahlungen von Mandatsträger:innen, nicht nur Parlamentarier:innen, sondern auch Richter:innen an die politische Partei, der sie zugehören, führen laut Walti zum Eindruck der Abhängigkeit der Justiz von Parteien, was dem verfassungsmässigen Prinzip der Unabhängigkeit der 3. Gewalt widerspreche. Auch Walti sieht damit die Akzeptanz der Rechtsprechung gefährdet und will durch ein Verbot von Mandatssteuern und Mandatsabgaben die richterliche Unabhängigkeit stärken. Mitunterzeichnet wurde seine parlamentarische Initiative von der Mehrheit der FDP-Fraktion. Die Behandlung im Parlament steht noch aus. Klar wird jedoch damit, dass die Unabhängigkeit nicht nur von Stimmberechtigten, sondern auch von Nationalrät:innen kritisch betrachtet wird. Die parlamentarische Initiative wird auch von Adrian Gasser unterstützt. Der Initiator der Justiz-Initiative gibt Walti Recht. Jedoch ist laut ihm die Begründung falsch. «Es besteht nicht nur der Anschein der Abhängigkeit. Diese ist auch tatsächlich gegeben», bezieht Gasser Stellung.

Das Los als Qualifikationssicherer?

Das Ziel der Unabhängigkeit der Justiz ist damit ein anerkanntes. Doch nicht nur die Unabhängigkeit der Justiz will die Initiative sicherstellen. Ein weiteres Anliegen ist ihr die Stärkung der Qualifikation der Rechtsprechenden, wie Mitinitiantin Karin Stadelmann betont: «Für mich steht die Qualifikation für ein Amt im Vordergrund, gerade wenn es um die Judikative geht.» Diese soll sichergestellt werden, in dem eine Fachkommission vorgängig die Qualifikation aller Bewerbenden prüft. So sollen laut Stadelmann «all diejenigen in einen Topf kommen, welche sich von ihrer Qualifikation für die Position eignen». So entscheide das Los unter den Fähigen und das Parteibuch stehe nicht mehr im Vordergrund. Damit erhofft sich Stadelmann auch weniger Diskussionen um das Geschlecht von Rechtsprechenden: «Mit diesem Verfahren löst sich auch die Geschlechter-Frage! Egal ob fähige Frau oder fähiger Mann, beide kommen in den Topf, den Entscheid fällt das Los. So entsteht kein fader Beigeschmack, niemand hat den Entscheid beeinflusst». Sie ist nicht die Einzige, die im Losverfahren eine Chance für die bessere Vertretung von unterrepräsentierten Gruppen in der Judikative sieht. Auch die Sozialwissenschaftler:innen Prof. Dr. Katja Rost, Malte Doehne und Margit Osterloh stimmen ihr in diesem Punkt zu. Das Losverfahren sei weniger anfällig für Manipulationen. Es ermögliche zudem unterrepräsentierten Gruppen sich auf Positionen zu bewerben und im Fall eines Misserfolges das Gesicht wahren zu können, schreiben die Sozialwissenschaftler:innen in einem Artikel. Dadurch gebe es eine Eindämmung der Einflussnahme auf Wahlen zu Gunsten der Leistungsfähigkeit.

Bundesgericht sieht keinen Handlungsbedarf

In der Botschaft zur Initiative schreibt der Bundesrat, dass ihm die Unabhängigkeit der Justiz ein grosses Anliegen sei und anerkennt die Anliegen der Initiierenden. Nach Ansicht des Bundesrates ist jedoch die Wahl im Losverfahren der falsche Weg. Die Initiative schaffe neue Probleme, indem das Los und nicht die Qualifikation entscheidend sei. Zudem schwäche die Initiative die Stellung der politischen Parteien und die Akzeptanz der Entscheide. Der Bundesrat empfahl deshalb die Initiative ohne direkten oder indirekten Gegenvorschlag zur Ablehnung. Das Bundesgericht hat mit einem Brief an Karin Keller-Sutter, Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, sich der Stellungnahme des Bundesrates zur Justiz-Initiative angeschlossen. Auf Anfrage äussert es sich dahingehend, dass es die Bedenken des Bundesrates weitgehend teile und die Initiative ablehne. Im Parlament wird die Möglichkeit eines Gegenvorschlags aktuell noch beraten. Die Rechtskommission des Nationalrates hat sich bereits dagegen ausgesprochen. Sie sieht das aktuelle System als bewährt an. Im Ständerat wird die Justiz-Initiative voraussichtlich am 10. Juni 2021 im Rahmen der Sommersession behandelt.

Laura Rufer studiert Rechtswissenschaften im Master. Dieser Beitrag entstand im Rahmen einer Werkstatt des Lehrprogramms Wirtschaftsjournalismus unter der Leitung von Stefanie Knoll, SRF, und ist Teil der Serie zum Thema «Geld oder Glück».


Bild: Adobe Stock / mehaniq41

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