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Hintergrund - 26.09.2019 - 00:00 

Wie Vitali Klitschko Kiew zur «Smart City» umbaut

Verwaltungen sollen durch den Einsatz von digitaler Technik bürgernäher und innovativer werden. Am Swiss Smart Government Day erklärte der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko, wie eine solche Smart City in der Praxis aussieht.

26. September 2019. «Wer nicht kämpft, kann nicht gewinnen», sagte Vitali Klitschko am Swiss Smart Government Day der Universität St.Gallen. Klitschko muss es wissen: Er war 17 Jahre lang Profiboxer und zweimaliger Weltmeister im Schwergewicht. Seit 2014 ist der Zwei-Meter-Hüne Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Dort kämpft er seither für den Aufbau einer smarten Stadtverwaltung.

«Die Herausforderungen dabei sind riesig», erzählte Klitschko in seiner auf Deutsch gehaltenen Rede vor rund 300 Zuhörerinnen und Zuhörern im Kongresshotel Einstein St.Gallen. «Als ich anfing, war Kiew praktisch zahlungsunfähig und die Verwaltung sowjetisch geprägt: Riesig, langsam und unflexibel.» Dank der Einführung verschiedener digitaler Dienstleistungen sei die Verwaltung der 4-Millionen-Stadt effizienter geworden und sie habe innert vier Jahren rund 1,2 Milliarden Euro eingespart.

Zudem seien dank der Einführung eines digitalen «Open Budget» für jeden Bürger alle Geldflüsse im öffentlichen Sektor nachvollziehbar. Klitschko: «Das schafft Transparenz und damit Vertrauen.»

Ängste vor digitalem Wandel abbauen

Kiew ist ein konkretes Beispiel für das Thema des Swiss Smart Government Day. An diesem stand die Frage im Zentrum, wie öffentliche Verwaltungen dank digitaler Technologie bürgerzentrierter und innovativer werden können. «Es geht darum, die nächste Generation der Verwaltung zu entwickeln», sagte Kuno Schedler, Direktor des Smart Government Lab an der Universität St.Gallen. «Das Thema weckt Unsicherheiten. Wir wollen diese Ängste mit konstruktiven Diskussionen abbauen», so Schedler. Auch Klitschko sagte, er sei auf viel Skepsis gestossen. «Das ist normal, wenn grosse Veränderungen anstehen. Ich leiste bis heute Überzeugungsarbeit und führe Gespräche mit Politikern und Bürgern.»

Neben der finanziellen Transparenz wurden in Kiew Projekte umgesetzt, die den Alltag der Bürger sehr konkret betreffen. So werden U-Bahn-Tickets automatisch via Smartphone gelöst, die Stadtverwaltung hat auf elektronischen Dokumentenverkehr umgestellt und ein grossflächiges Überwachungssystem aufgebaut. «Das Stadtgebiet wird von rund 8000 Kameras überwacht. Wo sie im Einsatz sind, wird das klar ausgewiesen», sagte Klitschko. Die Kriminalität sei dadurch um über 50 Prozent gesunken.

Ausserdem setzt die Stadt auf eine smarte Strassenbeleuchtung, die sich in ruhigeren Quartieren nur bei Bewegung auf der Strasse einschaltet und sie fördert Start-Ups im IT-Bereich. «In Kiew arbeiten 50'000 meist junge Menschen in der IT-Branche. Wir brauchen ihre Ideen, um gemeinsam voranzukommen», sagte Klitschko.

Digitalisierung ist Zusatzbelastung

An gemeinsamen Ideen und Projekten arbeiten derzeit auch Wissenschaftler und öffentliche Verwaltungen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich: Aus den drei Ländern haben sich neun Städte und Gemeinden mit vier Hochschulen zur «Smart Government Akademie Bodensee» zusammengeschlossen. Mit dabei sind die Universität und die Stadt St.Gallen. Ziel der im Mai 2019 lancierten Initiative ist es, Wissen und Erfahrungen auszutauschen.

Nach Klitschkos Rede trafen sich Vertreter dieser Akademie zu einer Podiumsdiskussion. Alle waren sich darin einig, dass die Digitalisierung für die öffentlichen Verwaltungen ein Kraftakt ist. «Die Digitalisierung ist eine Zusatzbelastung zur täglichen Arbeit», sagte Ines Mergel, Professorin für Public Administration an der Universität Konstanz. Es stehe ein Paradigmenwechsel an. «Die Logik der Verwaltung muss neu gedacht werden. Von der Bürgerseite her statt von der Gesetzesseite», sagte Mergel.

Mehrere Teilnehmer der Diskussion wiesen darauf hin, dass die Herausforderung sei, trotz neuer Prozesse möglichst alle Bürger zu erreichen. «Wir können zwar digitale Kanäle aufbauen, gleichzeitig können wir die alten auf absehbare Zeit nicht schliessen», sagte Siegfried Ehrlinspiel, IT-Verantwortlicher der Stadt Konstanz. «Es besteht sonst die Gefahr, dass wir ältere Menschen, die neue Technologien weniger nutzen, nicht mehr erreichen.» Gleichzeitig bestehe ein hoher politischer Druck, die Digitalisierung voranzubringen, sagte Klaus Lingg, Leiter Digitales Management der Stadt Dornbirn. «Oft geht dabei die Komplexität der Aufgaben vergessen, die die Verwaltung zu erfüllen hat.»

Prozesse der Verwaltung zu digitalisieren, sei dennoch wichtig, so das Fazit der Runde. «Diesen Umbau können wir aber nicht in zwei Jahren schaffen. Es braucht Zeit, die Philosophie der Verwaltung zu ändern», sagte Ehrlinspiel. Jens Schuhmacher, Professor für Globale Unternehmensnetwerke an der FH Vorarlberg ergänzte: «Unternehmen sehen die Digitalisierung nicht mehr nur als ein Bündel neuer Medien, sondern als Gestalter von grundlegend neuen Prozessen. Dieses Denken fehlt der öffentlichen Verwaltung noch.»

Eine Tagung zur smarten Verwaltung

Der Swiss Smart Government Day 2019 an der Universität St.Gallen beschäftigte sich mit der smarten Verwaltung. Dabei standen Themen wie bürgerzentriertes Design, die elektronische Identität oder Vertrauen in künstliche Intelligenz im Fokus. Unter den Referierenden waren Vitali Klitschko, Ex-Profiboxer und amtierender Bürgermeister von Kiew, der St.Galler FDP-Nationalrat und IT-Unternehmer Marcel Dobler sowie Christian Geiger, Chief Digital Officer der Stadt St.Gallen.

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