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Hintergrund - 10.05.2019 - 00:00 

«Staat und Wirtschaft brauchen einen fairen Deal»

Die Innovationsökonomin Mariana Mazzucato regte während des 49. St.Gallen Symposiums ein Umdenken in der Wertschöpfungsdebatte an. Sie plädierte für einen unternehmerisch handelnden Staat mit klaren Missionen. Nur ein «fairer Deal» zwischen Staat und Markt ermögliche Innovationen, um globale Probleme zu lösen.

10. Mai 2019. Die italienisch-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin nannte zu Beginn ihres lebhaften Vortrags in der Aula der Universität St.Gallen vier globale Probleme, die nur mit einer «sinnorientierten Wertschöpfung» zu lösen seien: Klimawandel, Finanzkrisen, eine Industrie, die ihre wirtschaftlichen Erfolge nur ungenügend mit der Gesellschaft teile; und ein Staat, der mehr verwalte als gestalte.

«Wir brauchen eine neue Debatte über Wertschöpfung und die Frage, wer in unserer Welt Wert schafft und wie», sagte Mariana Mazzucato, Innovationsökonomin an der University of Sussex. «Die vier globalen Probleme beruhen auch auf Geschichten darüber, wie Wert, Wohlstand und Reichtum entstehen. Vielfach sind das Mythen. Diese Produktivitätsmythen sind so einflussreich, da Teile der Gesellschaft selbstbewusst darüber sprechen, wie viel Wert sie schaffen, und andere sehr zurückhaltend sind.» Der Staat werde zum Beispiel häufig nur als Verwalter und lästige Hemmschwelle wahrgenommen, obwohl er auch Geldgeber sei und damit unternehmerisches Risiko trage.

Mythen prägen das Denken

«Die Unterscheidung zwischen produktiven und unproduktiven Kräften beherrscht die Wertschöpfungsdebatte», sagte Mazzucato. In den USA dominiere zum Beispiel der Mythos, dass der Markt allein verantwortlich sei für die Entstehung von bahnbrechenden Innovationen wie dem Internet und Firmen wie Google, Facebook und Co. Auch in Amerika gebe es aber de facto sehr viele staatliche Investitionen. «Nehmen wir Tesla-Gründer Elon Musk. Mit seiner Firma SpaceX hat er eine Raumkapsel an der Internationalen Raumstation ISS angedockt. Alles, was er tut, geht ins Bruttoinlandsprodukt ein, weil er ein privater Unternehmer ist.» Seinen Erfolg habe der Unternehmer aber letztlich auch einer kollektiven Anstrengung zu verdanken: Er habe Milliarden von der Regierung erhalten. Somit habe auch der Staat zu Elon Musks Erfolg beigetragen, sagte Mariana Mazzucato.

Der Staat als Unternehmer mit Mission

Die Forscherin hat in einer ihrer Studien näher untersucht, wie sich der Staat als Unternehmer in die Gesellschaft einbringen kann. Titel der Publikation: The Entrepreneurial State: debunking public vs. private sector myths. Quintessenz ihrer Forschung: «Politik braucht gesellschaftliche Ziele, einen Auftrag, eine Mission. Den ersten Mann auf den Mond zu bringen, das war solch eine Mission.» Jedes Land stünde vor anderen Herausforderungen – diesen sollte es mit klaren Missionen begegnen. «Saubere Städte, ein plastikfreies Meer, eine Lösung für die demografische Krise: mit gezielten Investitionen können Regierung und Wirtschaft gemeinsam diese Missionen erfüllen.» Voraussetzung dafür sei eine Abkehr vom einseitigen «Markt versus Staat»-Denken und ein fairer Ausgleich zwischen Industrie und dem öffentlichen Sektor. «Staat und Markt sollten Risiko und Erfolg teilen», sagte die Wissenschaftlerin. Nur so könne dauerhaft ein innovationsfreundliches Klima entstehen.

Wert ist nicht immer messbar

Zum Abschluss wandte sich die Innovationsforscherin auch an die eigene Zunft: «Wir Ökonomen messen nur Dingen einen Wert bei, die einen Preis haben, etwa bei der Berechnung des Bruttoinlandsprodukts.» Private Pflege und Hausarbeit seien beispielsweise wertvoll für eine Gesellschaft, aber ökonomisch nicht messbar. «Wir müssen wieder darüber streiten, wie wir über Wert sprechen», regte die Forscherin an. «Sonst lassen wir zu, dass Menschen, die Wert entziehen, für Menschen gehalten werden, die Wert erzielen.»

Weitere Quellen: University of Sussex, Zeit Online

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