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Hintergrund - 15.11.2016 - 00:00 

Neue Vorlesungsreihe über die Werte in der Wirtschaft. Ein Interview mit Martin Booms.

«Das gute Leben ist Mass der sinnvollen Wirtschaft, nicht die gut laufende Wirtschaft das Mass dafür, was ein sinnvolles Leben ist», sagt Prof. Dr. Martin Booms. – Ein Interview zum Start seiner Vorlesungsreihe.

16. November 2016. Der Sozialethiker Martin Booms plädiert für die humanistische Wende in der Wirtschaft.

Herr Booms, welche neuen Werte braucht die Wirtschaft und warum?

Martin Booms: In erster Linie geht es gar nicht um die Definition inhaltlicher neuer Werte, schon gar nicht um eine äusserliche Moralisierung der Wirtschaft. Es geht vielmehr um ein neues Werteverständnis und eine neue Wertekompetenz. Denn Wirtschaft als menschlicher Zweckzusammenhang ist per se immer wertebezogen, nur nicht immer reflektiert. Im Gegensatz dazu ist sowohl in der Ökonomik als auch in der wirtschaftlichen Praxis immer noch die Vorstellung verbreitet, dass es ein «wertefreies» Wirtschaften gäbe. Diese Auffassung ist aber nicht so sehr moralisch problematisch, wie sie sachlich in die Irre führt: Sie blendet die Hälfte der ökonomischen Realität aus und führt daher zu Verzerrungen und Fehlsteuerungen, die sich auch in der Wirklichkeit abbilden.

Nach der Wirtschafts- und Finanzkrise wurde teilweise vehement ein Wertewandel gefordert. Zwischenzeitlich sieht es so aus, als sei nicht viel passiert. Täuscht der Eindruck?

Booms: Solange die vorherrschenden Denkmuster unverändert sind, wird ein Wertewandel nicht eintreten. Es hilft beispielsweise nicht, einen Kulturwandel auszurufen, der dann aber ganz vom eigentlichen wirtschaftlichen Kerngeschäft entkoppelt wird. Ein wirklicher Wertewandel setzt eine Reflexion über grundsätzliche Fragen gerade der ökonomischen Tätigkeit voraus: Was ist Ziel- und Zweckbestimmung der Unternehmung, aus der sie ihre Corporate Identity begründet? Nach welchen Kriterien bestimmt sich unternehmerischer Erfolg? Sind Profite Voraussetzung oder Zielpunkt der geschäftlichen Tätigkeit? Wie steht das Unternehmen zur Gesellschaft und welche Folgerungen für die Ausrichtung des Geschäftsmodells sind hieraus zu ziehen?

Politik, Wirtschaft und Gesellschaft beeinflussen sich gegenseitig. Wer kann die Diskussion über einen Wertewandel in der Wirtschaft mitbestimmen?

Booms: Die Wirtschaft ist ja kein Zweck an sich, sondern sie ist ein Mittel: Sie steht im Dienste der Gesellschaft und ihrer Menschen, nicht umgekehrt. Sind die Grundbedürfnisse ökonomisch abgesichert, hängt alles Weitere davon ab, wie wir leben wollen – und diese Frage geht offensichtlich jeden an. Wahrer Reichtum besteht nicht unbedingt in einer maximalen Ausstattung an ökonomischen Gütern, sondern darin, über diejenigen Mittel zu verfügen, die für das glückliche Leben, wie auch immer dieses definiert sein mag, erforderlich ist. Das gute Leben ist Mass der sinnvollen Wirtschaft, nicht die gut laufende Wirtschaft das Mass dafür, was ein sinnvolles Leben ist.

Die Wahl Donald Trumps hat überrascht. Viele befürchten nun, der Populismus werde seinen Vormarsch ausweiten. Hemmt dieses Umfeld die Diskussion über Werte in der Wirtschaft?

Booms: Das Phänomen Donald Trump ist ja selbst Ausdruck eines Wertebedürfnisses. Was sich hier abbildet, ist der brandgefährliche Prozess einer immer weiter um sich greifenden inneren Entwurzelung, die vielleicht noch schwerer wiegt als die ökonomische Abkoppelung, die bei Teilen der Unterstützerschicht festzustellen ist. Menschen brauchen eine innere Heimat, die Sinnhaftigkeit und Identität stiftet, Selbstwertgefühl und Selbstbestimmung ermöglicht.

Diese innere Beheimatung ist nicht zuletzt durch die sozio-ökonomischen und politischen Umwälzungsprozesse der Globalisierung in ihren Fundamenten untergraben worden. Offenbar haben sich zuletzt zu viele Menschen nicht als souverän Beteiligte, sondern als ohnmächtig Betroffene dieser ihnen als schicksalhaft und fremdbestimmend erscheinenden Wandlungsprozesse gefühlt. Das erklärt aber nur das Phänomen, rechtfertigt noch lange nicht das Verhalten der Betroffenen.

Und was sind die Folgen?

Booms: Die Folge ist Verunsicherung, Desorientierung und Angst. Neben der Politik, die es auch in Europa bisher nicht geschafft hat, neue Orientierungsangebote zu machen, hat aber auch die globalisierte Unternehmenswelt, wie sie etwa in der Finanzkrise oder der Abgasaffäre zum Vorschein gekommen ist, zu diesem Erosionsprozess beigetragen. Auch die Unternehmen stehen jetzt in der Verantwortung, das Vertrauen von Menschen zurückzugewinnen. Dabei geht es um mehr als nur die Inszenierung einer neuen Anerkennungskultur: Es geht darum, den Menschen als den Zweck der Wirtschaft neu zur Geltung zu bringen. Diese humanistische Wende ist alternativlos. Bleibt sie aus, werden Wirtschaft, Politik und Gesellschaft am Ende einen Preis zu bezahlen haben, der die Dimension aller bisher gekannten Krisen überschreiten dürfte.

Interview: Claudia Schmid

Martin Booms ist Direktor der Akademie für Sozialethik und Öffentliche Kultur (Bonn) sowie Lehrbeauftragter für Reflexionskompetenz an der Universität St.Gallen.

Vorlesungsreihe Wirtschaftsethik: Wie viel Werte braucht die Wirtschaft – und wenn ja, welche? Eine philosophische Entdeckungsreise zu einem Thema mit Stolpergefahr.

Die Vorlesungen finden jeweils an einem Mittwoch, von 20.15 bis 21.45 Uhr im Raum HSG 09-110 an folgenden Terminen statt:

  • 16. November
  • 23. November
  • 30. November
  • 7. Dezember
  • 14. Dezember
  • 21. Dezember



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