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Forschung - 20.10.2021 - 00:00 

Die Macht des Humors am Arbeitsplatz jenseits von #MeToo

Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass gemischtgeschlechtliche Vorstellungsgespräche in Post-#MeToo-Organisationen Ängste auslösen. Während der Humor von Frauen die Angst vor dem Interviewer und die daraus abgeleiteten Folgen verringert, verstärkt der Humor von Männern häufig die Verunsicherung. Assistenzprofessorin am Forschungsinstitut für Internationales Management an der Universität St.Gallen (FIM-HSG) Jamie Gloor erklärt, wie Humor soziointegrativ wirken kann, aber auch spaltet.

20. Oktober 2021. Gibt es empirische Belege für eine breitere, auf Angst basierende #MeToo-Reaktion? Und wenn ja, was können wir tun, um sie und ihre negativen Auswirkungen zu verringern? Diesen Fragen widmet sich eine aktuelle Forschungsarbeit von Jamie Gloor, Assistenzprofessorin und PRIMA-Stipendiatin des Schweizerischen Nationalfonds (SNF). Am Kompetenzzentrum für Diversity & Inclusion der Universität St.Gallen (CCDI-HSG) beschäftigt sich die Professorin mit der Frage, welche Rolle Humor, Emotionen, Robotik und Diversity am Arbeitsplatz spielen.

Erfolgreich gemanagte Vielfalt in der Arbeitswelt wird oft mit mehr Kreativität, Innovation und Leistung in Teams in Verbindung gebracht. Die jüngsten sozialen Bewegungen wie #MeToo und #TimesUp zeigten jedoch, dass Interaktionen zwischen gemischtgeschlechtlichen Gruppen auch zu Belästigung und Diskriminierung führen können. Dabei spielt der Einsatz von Humor eine wichtige Rolle: Was für eine Gruppe lustig ist, kann andere ausgrenzen – oder sogar belästigen. Die Forschung, welche die Vorteile von Humor am Arbeitsplatz, insbesondere für Männer, aufgezeigt hat, ist im Ergebnis oft kontextlos oder wurde vor #MeToo durchgeführt. Die Gefühle von Männern und Frauen im Umgang miteinander könnten sich inzwischen auf eine Art und Weise verändert haben, die auch die Interpretation von Humor beeinflusst. Jamie Gloors Forschung zeigt, dass in Organisationen, die von #MeToo (und verwandten Bewegungen) besonders betroffen sind, Humor von Frauen den angespannteren sozialen Kontext verbessern und die nachgelagerten Einstellungschancen erhöhen kann, während Humor von Männern den gegenteiligen Effekt auslöst.

Gruppenangst führt zu Spaltung

Während solche Erfahrungen negative Folgen für die Betroffenen, die Personen im nahen Umfeld sowie die entsprechenden Organisationen haben, führt die Interaktion mit einer Person des anderen Geschlechts in anderen Fällen zu einer blossen Erwartung möglicher negativer Folgen – einem Gefühl des Unbehagens, das als sog. «Gruppenangst» bekannt ist. Darunter zählen Ängste wie beispielsweise das Begehen eines Fauxpas, die Missinterpretation des Gesagten einer Person oder gar, dass eine dritte Person eine harmlose Interaktion zwischen einer männlichen und einer weiblichen Fachkraft falsch verstehen könnte.

Solch eine «gläserne Trennwand» wird von Frauen und Männern besonders gespürt, wenn sie mit einer Kollegin oder einem Kollegen des anderen Geschlechts in Organisationen oder Branchen interagieren, die von #MeToo betroffen sind. Zitate von Managern aus dem Finanz- und Technologiesektor spiegeln diese Empfindungen wider und unterstreichen das Gefühl konkreter, unsichtbarer Barrieren für gemischtgeschlechtliche Beziehungen am Arbeitsplatz. Verunsicherung kann Fortschritte bei Einstellung, Bindung und Förderung ausgebildeter weiblicher Talente behindern und untergraben letztlich die potenziellen Vorteile der Vielfalt am Arbeitsplatz.

Methoden und Ergebnisse

In einer neuen Studie unter der Leitung von Professorin Dr. Jamie Gloor (Universität St. Gallen) und ihren US-amerikanischen Co-Autorinnen, den Professorinnen Dr. Cecily Cooper (Universität Miami), Lynn Bowes-Sperry (California State University East Bay) und Nitya Chawla (Texas A&M), hat das Team auf Mikroebene, von Mensch zu Mensch, eine Strategie vorgeschlagen und getestet: Humor. Humor könnte helfen, die informellen, zwischenmenschlichen Barrieren abzubauen.

Die Diversitätsforschung hat sich bereits damit befasst, dass aggressiver oder sexueller Humor zwischen Männern und Frauen schädlich sein kann, aber noch nicht mit der Idee, dass positiver Humor solche Interaktionen verbessern könnte. Unter Einbezug verwandter Humorforschung – die zeigt, dass Humor Stress reduziert, Wärme signalisiert, positive Emotionen hervorruft und Beziehungen aufbaut – testeten Gloor und ihre Kolleginnen, inwiefern positiver Humor die Angst zwischen Gruppen in gemischtgeschlechtlichen Beziehungen reduzieren kann. Da diese Angst in Einstellungssituationen aufgrund der fehlenden Beziehungsgeschichte zwischen dem Interviewer und den Befragten besonders ausgeprägt sein kann, testeten sie ihre Annahme in Auswahlverfahren.

Im Rahmen dreier Studien mit unterschiedlichen Versuchsanordnungen bewerteten 1189 Personalverantwortliche hypothetische Bewerber resp. erinnerten sich an ihre früheren Erfahrungen bei der Einstellung von Kandidaten. Bei den Vignettenstudien manipulierten die Autorinnen den Humor der Bewerber; einer der getesteten Witze kommt sicherlich bekannt vor: Nachdem der Bewerber eine neue Technologie auf einer kürzlich stattgefundenen Konferenz in der Schweiz erwähnt hatte, führte er aus, dass es sich nicht nur um eine inspirierende Veranstaltung handelte, sondern dass auch der Veranstaltungsort wunderschön war und sogar die Flagge ein großes PLUS darstellte! (haha) Bei den Studien zum Erinnerungsvermögen wurden die Personalverantwortlichen aufgefordert, sich an einen passenden, lustigen Witz oder eine Geschichte zu erinnern, die der Bewerber ihnen erzählt hatte, im Gegensatz zu lediglich der Begrüssung.

Die Ergebnisse zeigen, dass gemischtgeschlechtliche Interaktionen tatsächlich zwischenmenschliche Ängste und nachgelagerte Folgen (z.B. geringere soziale Anziehung und Auswahl, mehr Ablehnung) in Kontexten, in denen geschlechtsspezifische oder sexuelle Belästigungen eine Rolle spielten. Während der Humor von weiblichen Bewerbern diese Ängste und ihre Auswirkungen verringerte, verstärkte der Humor männlicher Bewerber diese überraschenderweise.

Da die meisten bisherigen Forschungsarbeiten zu Humor am Arbeitsplatz das gegenteilige Muster zeigen – der Humor von Männern sei im Allgemeinen effektiver als derjenige von Frauen – setzte das Team seine Untersuchung fort, um dieses Ergebnis zu erklären. Jamie Gloor und ihr Team untersuchte unter Einbezug sachgemässer Literatur zum Thema Diversität, wie Humor von Bewerbern in gemischtgeschlechtlichen Paaren unterschiedliche Erwartungen bei potenziellen männlichen und weiblichen Arbeitnehmern auslöst. Sexuelle Belästigung werde häufig auf aggressiven oder sexuellen Humor von Männern zurückgeführt. Die Studienergebnisse stützen diese Annahme und zeigen, dass humorvolle Männer – nicht aber Frauen – die Erwartungen an sexuelle Verhaltensweisen erhöhen.

Empfehlungen für die Praxis

Obwohl Professorin Gloor und ihr Team in allen drei Studien lediglich harmlosen Humor untersuchten, deuten die Ergebnisse darauf hin, dass der Humor von Frauen «riskant» sein kann (d.h. er hat nicht durchwegs positive Auswirkungen auf Frauen am Arbeitsplatz), während der Humor von Männern als «gewagt» eingestuft wird. Mit anderen Worten: Der Humor männlicher Bewerber signalisiert einige der gleichen Erwartungen, die ursprünglich die zwischenmenschlichen Ängste auslösten: das Potenzial für schädliches sexuelles Verhalten. Aus diesen Gründen ist diese Untersuchung eine der ersten, die zeigt, wann Humor am Arbeitsplatz für Frauen vorteilhaft und für Männer nachteilig ist. Wenn also geschlechtsspezifische oder sexuelle Belästigungsbedenken im Vordergrund stehen, sollten Männer auf Nummer sicher gehen und sich humorlos verhalten, da sie sich sonst ihre Einstellungschancen verbauen, während humorvolle Frauen die Situation und ihren letztendlichen Einstellungserfolg verbessern können.

Wie könnten sich diese Ergebnisse oder ihre Implikationen vor dem Hintergrund von Covid-19 ändern? Die Pandemie hat gewisse Ungleichheiten verschärft (z.B. stieg die Arbeitslosigkeit von Frauen und Müttern), was bedeutet, dass die Mehrheit der heutigen Arbeitssuchenden weiblich sein könnte. Aber die Pandemie hat auch die Art und Weise verändert, wie Unternehmen Personal einstellen. Während frühere Vorstellungsgespräche in der Regel persönlich stattgefunden haben, werden sie in jüngerer Zeit online geführt, sei es aus Notwendigkeit (z.B. bei Schliessungen oder Reisebeschränkungen) oder aus Präferenz (z.B. um Zeit, Geld oder reisebedingte Emissionen zu sparen). Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass virtuelle Gespräche (im Gegensatz zu persönlichen Gesprächen) die zwischenmenschlichen Ängste weiter verstärken, was wahrscheinlich auf den künstlicheren Charakter und das Fehlen sozialer Anhaltspunkte zurückzuführen ist. Folglich bleiben persönliche Vorstellungsgespräche, wenn möglich, zu empfehlen – oder die Gesprächsbedingungen für männliche und weibliche Bewerbende sind gleich zu halten.  

Auch wenn es nicht die Aufgabe von Frauen sein sollte, Vorurteile anderer gegen sie zu verhindern, zeigt die Studie, dass Humor ihnen dabei hilft, Verunsicherung zwischen den gemischt-geschlechtlichen Gruppen und ihre negativen Auswirkungen in Post-#MeToo-Organisationen proaktiv zu reduzieren.

Weitere Informationen finden Sie in Jamie Gloors Publikation im FT50 Journal Journal of Applied Psychology.

Kontakt für Rückfragen:

Prof. Dr. Jamie L. Gloor, Assistenzprofessorin und SNF PRIMA-Stipendiatin

Kompetenzzentrum für Diversity & Inclusion an der Universität St.Gallen (CCDI-HSG)

Forschungsinstitut für Internationales Management an der Universität St.Gallen (FIM-HSG)
jamie.gloor(at)unisg.ch, www.ccdi-unisg.ch

Bild: Unsplash / Krakenimages

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