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Forschung - 20.10.2019 - 00:00 

Digitale Dominanz: Die Zukunft der Mobilität ist dezentral

Die Plattformökonomie wandelt sich: Distributed Ledger Technologies (DLTs) wie zum Beispiel Blockchain verändern Anreize und rütteln an Monopolen. Zum Vorteil von Mobilitäts-Dienstleistern, wie sich an E-Rollern und Velo-Sharing in vielen Städten zeigt. Dezentrale Mobilitätsplattformen sind auch Thema des «St.Gallen Blockchain Roundtable» am Dienstag, 5. November, in Zürich.<br/>

21. Oktober 2019. Nachdem zentrale Transaktionsplattformen den bilateralen Handel umgestaltet haben, weichen dezentrale Plattformen die neuen Handelsstrukturen auf und demokratisieren die Plattformökonomie. Ob Facebooks Währung Libra, die Zusammenarbeit zwischen IBM und Maersk zur Etablierung eines dezentralen Logistikökosystems, Technologieentwicklungen wie Ethereum, IOTA und Polkadot oder die Kryptowährung Bitcoin: Diese Entwicklungen führen zur allmählichen Erosion von Monopolen.

Hohe Margen und rasantes Wachstum

Während bilateraler Handel von hohen Transaktionskosten geprägt ist, konnten zentrale, digitale Marktplätze, auf denen Angebot und Nachfrage verknüpft sind, die Transaktionskosten vermindern. Dies erklärt den Erfolg der Plattformökonomie. Ausschlaggebend dafür war das Internet-Protokoll, kurz TCP/IP. Dank dieser Entwicklung können Transaktionsplattformen wie Amazon Marketplace oder Booking.com Informationen über Angebot und Nachfrage zu Nullkosten kommunizieren.

Die Informations-Asymmetrie zugunsten der Plattformunternehmen kann zu Wettbewerbsvorteilen führen. Nicht selten ist dieser Vorteil so gross, dass monopolistische Marktstrukturen entstehen: Der Marktanteil Amazons liegt in Deutschland bei 68%, der des Hotelbuchungsanbieters Booking.com bei 66%. Hohe Kundenbindung und ein gutes Netzwerk führen häufig zu «Winner-Takes-It-All»-Plattformen, die Unternehmen wie Google, Amazon, Facebook, Booking.com, Uber, Airbnb und Netflix überproportional hohe Margen und rasantes Wachstum versprechen.

Dezentrale Plattformen zerstören die Geschäftsmodelle der Plattformunternehmen. Distributed Ledger Technologies (DLTs) wie Blockchain gleichen die Informations-Asymmetrie durch eine direkte Monetarisierung des Informationsflusses auf Datenebene aus. Daten müssen nun direkt vom Datenschöpfer mit dessen Zustimmung erworben werden. Dies hat vor allem für Geschäftsmodelle, die ihren Erfolg auf Künstlicher Intelligenz gründen, grosse Bedeutung, da für das Training der Algorithmen grosse Datenmengen benötigt werden.

E-Trottinette statt Taxi und Bus: Mobilität im Umbruch

Auch die Mobilität steht im Umbruch: Bisher beherrschten staatliche Verkehrsbetriebe, Taxi-Unternehmen und Privatfahrzeuge den Mobilitätsmarkt. Heute bieten in Berlin aktuell mehr als 14 Mobilitäsanbieter ihre Dienste an. Es gibt Fahrrad-Abos wie Swapfiets, E-Scooter (Tier, Circ, Lime, Voi), E-Roller (Emmy, COUP) sowie Velo-Sharing (Uber JUMP). Hinzu kommen Mobilitätsangebote wie Car-Sharing (WeShare, MILES, ShareNow), Ride-Hailing (Uber, FreeNow), und RideSharing (Berlkönig, CleverShuttle), die das individuelle Mobilitätsangebot zu traditionellem Bus- und Bahnangeboten ergänzen. Die Privatisierung führt zum Konkurrenzkampf zwischen den Anbietern. Die vielversprechenden Margen und das schnelle Wachstum forcierend bietet jedes dieser Unternehmen ihre Dienste über zentrale Transaktionsplattformen an.

Dezentrale Mobilitätsplattformen

Forschende des Instituts für Technologiemanagement (ITEM-HSG) und des Instituts für Customer Insight (ICI-HSG) an der Universität St.Gallen beobachten einen Trend zum «Mobility as a Service» (MaaS): Alle beteiligten Serviceanbieter sind hier direkt in den Mobilitätsprozess eingebunden und korrespondieren digital auf einem Marktplatz. Die entscheidende Frage ist, auf welcher technischen Basis dieses MaaS-Konzept künftig entsteht:

Eine Möglichkeit sind die zentralen Plattformen. Hier orchestriert ein zentrales Plattformunternehmen den MaaS-Marktplatz, ähnlich wie bei Amazon Marketplace – mit dem Nachteil der sich einstellenden Informations-Asymmetrie. Langfristig führt dies zu Abhängigkeiten für die Mobilitätsanbieter von den Plattformunternehmen.   Die andere Möglichkeit wäre die Implementierung einer dezentralen Plattform, die durch ein Plattformnetzwerk betrieben wird. Hier können sich zum einen die Mobilitätsanbieter beteiligen, zum anderen aber auch komplementär agierende, weitere Partner, wie der Dienst HERE. Der Kartenanbieter – einst eine gemeinsame Akquise seitens Audi, Daimler und BMW – integriert mittlerweile noch weitere Unternehmen wie Tencent, Intel, Bosch und Continental unter einem Dach. Als Konsortium könnten die unterschiedlichen Kernkompetenzen nun vereint und eine dezentrale Plattform betrieben werden, welche Abhängigkeiten vermeidet und das Kerngeschäft jedes Einzelnen stärkt.

Knackpunkt für dezentrale Plattformökosysteme

Aktuell führen hohe Kundenbindung und Netzwerk bereits zu Informations-Asymmetrien im Mobilitätsmarkt und bergen das Potential für monopolistische Marktstrukturen. Dabei halten beispielsweise Google oder Uber den direkten Kundenkontakt. Das Forscherteam der HSG empfiehlt Unternehmen, den monopolistischen Marktstrukturen präventiv entgegenzuwirken und über dezentrale Plattformen demokratische, also allgemein zugängliche Strukturen auf dem Mobilitätsmarkt aufzubauen.

Dezentrale Plattformen beinhalten eine zentrale Herausforderung: Die Komplexität und die Ausrichtung des Plattform-Netzwerks muss über ein integrierendes «Governance Model» abgewickelt werden, das als eine Art Verfassung dient. Die Implementierung dieses Modells ist dann der Knackpunkt für dezentrale Plattformökosysteme. Wirtschaft und Regulierung müssen gut korrespondieren, um einen Konsens zu gewährleisten. Sollte dies gelingen, profitieren Industrie und Gesellschaft von digitaler Unabhängigkeit.

The St.Gallen Blockchain Roundtable

Gemeinsam mit Wirtschaft, Politik und Wissenschaft wird das Institut für Technologiemanagement (ITEM-HSG) am Dienstag, 5. November 2019, in Zürich die Chancen, die Herausforderungen und Implikationen dezentraler Plattformen und die entsprechende Demokratisierung der Plattformökonomie diskutieren.

Bild: Fotolia / Sashkin

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