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Campus - 02.12.2019 - 00:00 

Simone Lapperts Romanfiguren haben ein Eigenleben

Autorin Simone Lappert hat in der Reihe «Das andere Buch an der Uni» aus ihrem zweiten Werk «Der Sprung» gelesen. Kaum erschienen wurde es sogleich für den Schweizer Buchpreis nominiert. Die Lesung zeigte: «Der Sprung» hat zu Recht viel Aufmerksamkeit erhalten.

2. Dezember 2019. Das Interesse an der Novemberausgabe von «Das andere Buch an der Uni» war gross. Die Plätze unter der Bibliothekskuppel füllten sich bis fast auf den letzten Stuhl. In ihren Begrüssungsworten erinnerte Sarah Niederer, stellvertretende Leiterin der Universitätsbibliothek daran, dass die Veranstaltungsreihe seit 2002 besteht und zweimal jährlich spannende Bücher und ihre Autorinnen und Autoren vorstellt.

Starker Einstieg in die Lesung

Zum Einstieg in die Lesung rezitierte Simone Lappert frei die erste Seite des Buches. Sie handelt davon, dass eine junge Frau auf einem Dach steht und was geschieht, wenn sie einen Schritt ins Leere macht. Fast meinte man, die schneidende Luft, welcher die Fallende ausgesetzt ist, selbst im Gesicht zu spüren.

Der zweite Roman der 34-jährigen Autorin basiert auf einem wahren Ereignis, von dem sie vor einigen Jahren hörte und das sie nicht mehr losliess. Sie habe damals mit einer Angehörigen sprechen können, die in der Menge gestanden und mit angehört habe, was die Leute über die geliebte Person auf dem Dach gesagt hätten; von «Spring doch» bis zu «So jemanden sollte man erschiessen», erzählte Simone Lappert. Für ihren Roman aber habe sie nur die Grundkonstellation übernommen. Sämtliche Personen und ihre Lebensgeschichten seien fiktiv.

Romanfiguren durchkreuzen Pläne

Hauptfigur der Geschichte ist Manu. Die eigenwillige junge Frau hat es sich zur Aufgabe gemacht, Pflanzen aus Blumentöpfen zu retten. Obwohl sie die Protagonistin ist, tritt sie praktisch kaum selbst in Erscheinung. Erst durch die Personen im Umfeld setzt sich das Bild von Manu allmählich zusammen. Sie kennen die junge Frau entweder sehr gut, nur am Rande oder gar nicht. «Beim Schreiben war mir die Frage wichtig, wie es um unsere Empathie bestellt ist, wie wir mit Menschen umgehen, die aus der Reihe tanzen und sich ausserhalb der gesellschaftlichen Norm verhalten», betonte Simone Lappert.

Ihre Romanfiguren gehorchten nicht immer ihren ursprünglichen Vorstellungen. «Manchmal verweigern sie den Namen, den ich ihnen zugedacht habe. Ein andres Mal verblasst die Figur je weiter sich die Geschichte entwickelt oder sie erhält plötzlich eine viel stärkere Rolle, als ich anfangs für sie vorgesehen habe.» Nicht selten entwickelten die Protagonistinnen und Protagonisten ein Eigenleben, durchkreuzten ihre Pläne und überraschten mit neuen Aspekten und Wendungen.

Achtsam gezeichnete Personen

Während der Arbeit am Roman habe sie viel recherchiert, erzählte Simone Lappert weiter. Ein Biologe habe ihr viel über die urbane Pflanzenwelt erzählt, ein Polizist über seine Einsätze bei Suizidversuchen, ein Fahrradkurier über die unterschiedlichsten Dinge, die er zu transportieren habe. «Das reicht von Schweineaugen für die Klinik, über Blumensträussen bis zu Urinproben.» So entstanden Romanfiguren wie der Polizist Felix, die Schneiderin Maren, Manus Freund Finn und ihre Schwester Astrid, der Obdachlose Henry, der Hutmacher und Schlachthofmitarbeiter Egon, die Schülerin Winnie oder die Quartierladenbesitzerin Theres.

Eine seiner Lieblingsfiguren sei die Wirtin Roswitha, welche unverrückbar und lebensklug agiere, erklärte Andreas Härter, ständiger Dozent für Deutsche Sprache und Literatur SHSS-HSG), der die Lesung moderierte. Aber auch alle anderen Figuren seien von Simone Lappert achtsam gezeichnet. Aus dem Publikum kam unter anderem die Frage, weshalb der Roman in Deutschland und nicht in der Schweiz spiele. Es sei für sie wichtig gewesen, die Geschichte vom Ort, wo es tatsächlich passiert sei, «wegzuschreiben», antwortete Simone Lappert. «Die Fiktion hilft aus dem Korsett, das bei einem wahren Ereignis besteht.» Der fiktive Ort in Deutschland habe ihr den nötigen Freiraum gegeben, eine eigenständige Geschichte zu entwickeln. Wichtig aber sei zu wissen, dass sich die Ereignisse an jedem Ort hätten zutragen können.

Simone Lappert ist die erste Schweizer Autorin, von der ein Buch im renommierten Diogenes Verlag veröffentlicht worden ist. 2014 erschien ihr Debütroman «Wurfschatten», der auf der Shortlist des aspekte-Preises stand. Sie wurde mit dem Wartholz-Preis als beste Newcomerin ausgezeichnet, ist Präsidentin des Internationalen Lyrikfestivals Basel und Schweizer Kuratorin für das Lyrikprojekt «Babelsprech.International». Sie lebt und arbeitet in Basel und Zürich.

Foto: Diogenes Verlag / Ayse Yavas

 

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