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Campus - 05.09.2016 - 00:00 

Besser prokrastinieren

Prokrastinieren. Schwieriges Wort, aber leicht getan: zu erledigende Dinge aufschieben, verschieben, vertagen. Prokrastination ist besonders verbreitet bei Menschen, die sehr eigenständig arbeiten. Also auch bei Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Wie geht man am besten mit der Aufschieberitis um? Ein Beitrag von Dana Sindermann.

6. September 2016. Der Tagesplan von Studierenden und akademischen Mitarbeitenden ist oft punktgenau durchgetaktet. Hier den Unterricht besuchen, Hausaufgaben erledigen, nebenbei jobben und noch ein Projekt voran bringen. Dort den Unterricht vorbereiten und halten, an der Forschungsarbeit schreiben, sich um das Praxisprojekt kümmern und täglich eine Handvoll Meetings besuchen.

Nichtstun einplanen

«Wenn man schon den ganzen Tag verplant hat, soll man eine Stunde einplanen zu prokrastinieren», sagt Florian Schulz. Er leitet die psychologische Beratung der Universität St.Gallen. Sein Aufruf ist auch als Gegenbewegung zum umfassenden Trend der Selbstoptimierung zu verstehen. Er und sein Team beobachten nämlich: Nichtstun, einfach mal durchhängen, das sehen viele Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für sich nicht vor.

«Viele kommen mit sehr hohen Ansprüchen an sich selbst in unsere Beratung», sagt Mark Laukamm, ebenfalls Mitarbeiter der psychologischen Beratung. Oft hätten die Leute eine wirtschaftliche Vorstellung von Tagesplanung. «Da wird für den Tag eine Art Projektplan erstellt, à la man hat 24 Stunden Zeit und da muss man so und so viel leisten können. Das wirtschaftliche Denken wird hier also auf die eigene Person übertragen. Was aber weniger berücksichtigt wird: jede Aufgabe erfordert Aufmerksamkeit und bedeutet eine Anstrengung für Körper und Geist. Wir können auch nicht den ganzen Tag konstant viel leisten. Da kommt sicherlich auch mal ein Durchhänger. Denn wir brauchen unbedingt Pausen.»

Mark Laukamms Kollegin Katharina Molterer begegnet hoch ambitionierten Personen erstmal mit Wertschätzung. «Viele erleben dann einen Aha–Effekt. ‹Ach so…, ja stimmt, ich schaffe eigentlich schon ganz schön viel…›» Anschliessend geht es in drei, vier Gesprächen darum, die eigenen Ansprüche oder das Selbstbild auszubalancieren und Prioritäten zu setzen.

Krisen durch Prokrastination

Das Beratungsteam kennt aber auch Fälle, in denen Prokrastination zu schweren persönlichen Krisen führt. Beispielsweise Studierende, die kurz vor dem Ablauf der Regelstudienzeit noch 50 Credits erwerben müssen. Kandidaten, die vorgeben ihre Abschlussarbeit zu schreiben, sich aber in der Bibliothek permanent mit dem Natel ablenken. Doktoranden oder Post-Docs, die mit ihren Gedanken überall sind, nur nicht beim Fachartikel, der dringend geschrieben werden sollte.

Gerade im universitären Kontext scheint Prokrastination verstärkt vorzukommen. Das kann strukturelle Gründe haben, sagt Mark Laukamm: «Im akademischen Rahmen gibt es eine Qualifizierungsarbeit nach der nächsten, also Bachelorarbeit, Masterarbeit, Doktorarbeit, Habilitation und das Projekt muss noch irgendwie durchkommen. Dabei sind die Ansprüche jedes Mal relativ hoch und steigen immer weiter.» Es stehen also immer wieder neue, grosse Herausforderungen bevor, die man meist auch noch alleine meistern muss. Florian Schulz stimmt hier ein. Er sieht hinter dem Prokrastinieren häufig eine Mischung aus einem enorm hohen Anspruch und einer Hilflosigkeit. «Man weiss überhaupt nicht, wie man diesem Anspruch genügen kann. Was hat man eigentlich zur Verfügung, was für Ressourcen, um das, was man erreichen will, zu schaffen? Und vor lauter hoher Ansprüche und nicht wissen, wie man das schaffen kann, begibt man sich in einen Modus des Vermeidens.»

Vermeidung aktiv überwinden

Wichtig sei dann, den Weg aus der Ohnmacht herauszufinden und die Vermeidung aktiv zu überwinden. Eine gute Strategie sei hier, mit einer kleinen Dosis zu beginnen. «Man fängt mal mit fünf Minuten an und steigert sich dann. Hilfreich ist es auch, mit anderen über das Thema zu sprechen, weil Schamgefühle das Vermeiden meist aufrechterhalten.» Das Team der psychologischen Beratung unterstützt Studierende und Mitarbeitende der Universität individuell beim Thema Prokrastination.

Darüber hinaus gibt es an der HSG weitere Anlaufstellen:

  • Die Psychologische Beratungsstelle unterstützt Studierende und Mitarbeitende der Universität umfassend mit ihren psychologischen Anliegen, auch im Umgang mit dem Thema Prokrastination.
  • Das Writing Lab bietet Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in ihren individuellen Schreibprozessen Coaching, Beratung und professionelle Begleitung.
  • Career & Corporate Services (CSC) berät Studierende bei allen Fragen rund um die Themen Karriereplanung sowie Einstieg in die Praxis.
  • Das Young Investigator Programme unterstützt Nachwuchsforschende unter anderem im Aufbau überfachlicher Kompetenzen und bei der Begleitung von Fragen und Konflikten, die mit der Qualifizierungsphase und Karriereplanung einhergehen.


Die Autorin, Dana Sindermann, ist wissenschaftliche Assistentin am Institut für Wirtschaftsethik.

Bild: Mr. Nico / photocase.de

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