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Meinungen - 05.06.2023 - 14:00 

OECD-Vorschlag für eine 15%-Mindeststeuer

Am 18. Juni 2023 entscheidet das Schweizer Stimmvolk über die Einführung einer Mindeststeuer für multinationale Konzerne. Christian Keuschnigg, Professor für öffentliche Finanzen, gibt einen Einblick in die Thematik.
Quelle: HSG Newsroom
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Am 18. Juni 2023 entscheidet das Schweizer Stimmvolk über die Einführung einer Mindeststeuer für multinationale Konzerne.

Die G20 und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wollen eine 15-prozentige Mindeststeuer für Grossunternehmen in der Schweiz und letztlich in 138 Ländern einführen. Ihr Ziel ist es, die steuerlichen Bedingungen für grosse Unternehmen, die in vielen Ländern tätig sind, stärker anzugleichen und mögliche negative Effekte des Steuerwettbewerbs zu bremsen. Das Gesetz würde für Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 750 Millionen Euro (744 Millionen Schweizer Franken) gelten.

Herr Professor Keuschnigg, gibt es einen weltweiten Bedarf für eine globale Mindeststeuer?

Der Steuerwettbewerb hat die Unternehmenssteuersätze unter Druck gesetzt. Hohe Steuern veranlassen multinationale Unternehmen, ihre Gewinne in Niedrigsteuerländer zu verlagern, wodurch die Hochsteuerländer Steuereinnahmen verlieren. Ein weiterer Grund ist, dass hohe Steuern Unternehmen dazu veranlassen, nicht nur Gewinne, sondern auch Produktion und Beschäftigung in Niedrigsteuerländer zu verlagern. Es ist jedoch eine Frage der nationalen Autonomie, niedrige Steuersätze zu wählen, vorausgesetzt, dass alle Unternehmen – inländische und ausländische – gleichbehandelt werden und die nationale Politik keine «beggar-thy-neighbour»-Politik ist. Gegen einen fairen Steuerwettbewerb ist nichts einzuwenden. Die jüngsten OECD-Initiativen zur Verschärfung der Regeln gegen steuerlich motivierte Gewinnverschiebung und zur Umsetzung des internationalen Informationsaustauschs erschweren es den Unternehmen, sich ihrer gerechten Steuerpflicht zu entziehen. Dies schwächt die Argumente für eine globale Mindeststeuer. Ausserdem greift eine Mindeststeuer in unzulässiger Weise in die nationale Autonomie bei der Wahl der eigenen Steuerpolitik ein.

Wer würde davon profitieren und wer nicht?

Wenn sich die Mindeststeuer durchsetzt, wird es zu einer Umverteilung von Steuereinnahmen sowie von Arbeitsplätzen und Unternehmensinvestitionen kommen. Länder mit hohen Steuern werden gewinnen, da sie weniger Steuereinnahmen und weniger Unternehmen verlieren. Länder mit niedrigen Steuern werden verlieren. Alle Länder zusammen könnten mehr Steuereinnahmen erzielen (der Gesamtkuchen könnte wachsen), aber alle werden aufgrund der zusätzlichen Verwaltungs- und Befolgungskosten verlieren. Die globale Mindeststeuer ist überaus komplex und wird viele Ressourcen in Unternehmen und Steuerbehörden verschlingen, um die Regeln zu verwalten.

Gibt es nicht mehr zu bedenken als nur einen Steuersatz?

Ja. Der Wettbewerb zwischen den Ländern wird nicht dadurch beendet, dass man den Wettbewerb bei der Körperschaftssteuer einschränkt. Länder konkurrieren an vielen Fronten: eine schlanke Bürokratie, eine gute digitale und geschäftliche Infrastruktur, ein effizientes Rechtssystem, gut qualifiziertes und motiviertes Personal, führende Forschungseinrichtungen, die Verfügbarkeit von FuE-Subventionen usw. All diese Dinge werden von mobilen multinationalen Unternehmen geschätzt, vielleicht sogar mehr als eine niedrige Unternehmenssteuerbelastung.

Wie könnte sich dieses Gesetz auf die Schweiz auswirken, könnte es die gleichen Auswirkungen auf das Vereinigte Königreich haben?

In der Schweiz ist die Körperschaftssteuerbelastung niedriger als die Mindeststeuer von 15 %. Wenn beispielsweise ein multinationales Unternehmen in einem Niedrigsteuerkanton in der Schweiz nur einen Steuersatz von 10 % zahlt, darf das Heimatland des Unternehmens einen Aufschlag von 5 % erheben, um die Gesamtsteuerlast auf 15 % zu erhöhen. Die Steuereinnahmen aus dem 5 %-Aufschlag fliessen dann in das Ausland und bleiben nicht in der Schweiz. Der Referendumsvorschlag sieht vor, dass die Schweiz selbst einen solchen Zuschlag erhebt, damit die Steuerbelastung in allen Kantonen das Minimum von 15 % erreicht. Damit wird sichergestellt, dass alle in der Schweiz erwirtschafteten Gewinne auch in der Schweiz besteuert werden und alle Steuereinnahmen im Inland verbleiben.

Im Vereinigten Königreich liegen die Körperschaftssteuersätze zwischen 19 % für kleine Unternehmen und 25 % für grosse Unternehmen wie multinationale Konzerne. Der Satz von 25 % liegt deutlich über der globalen Mindeststeuer, so dass die Initiative keine nennenswerten Auswirkungen auf das Vereinigte Königreich haben dürfte. Möglicherweise könnte das Land einige –  vernachlässigbare – zusätzliche Steuereinnahmen erzielen, wenn es in der Lage ist, einen Aufschlag auf den Gewinn eines britischen Unternehmens in einem Niedrigsteuerland zu erheben. Es wird nicht viele Fälle geben. Das Vereinigte Königreich muss andererseits auch für das zusätzliche Steuerpersonal aufkommen, das für die Verwaltung der neuen und sehr komplexen Vorschriften benötigt wird. Insgesamt sehe ich keine spürbaren Auswirkungen.

Sollte die OECD die Steuerpolitik der Länder bestimmen?

Ich glaube nicht. Die Rolle der OECD besteht darin, bei der Steuerkoordinierung im Sinne einer gegenseitigen Kompatibilität der Systeme zu helfen. Dadurch hilft sie den Mitgliedsländern, eine Doppelbesteuerung oder gar eine Null-Besteuerung zu vermeiden, wenn Unternehmen Steuerschlupflöcher ausnutzen. Beide Effekte würden den fairen Wettbewerb zwischen verschiedenen Unternehmen untergraben. Die OECD war massgeblich an der Entwicklung gemeinsamer Regeln gegen Gewinnverschiebung und an der Umsetzung des Informationsaustauschs beteiligt. All dies dient dazu, einen unfairen Steuerwettbewerb zu vermeiden und gleiche Wettbewerbsbedingungen für die verschiedenen Länder und für die Unternehmen zu gewährleisten. Die Einführung eines Mindeststeuersatzes ist jedoch etwas völlig anderes. Sie stellt einen Eingriff in die nationale Steuerautonomie dar und ist meiner Meinung nach nicht gerechtfertigt.

Christian Keuschnigg ist Professor für Volkswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Öffentlicher Finanzen an der Universität St.Gallen.

Bild: Adobe Stock / YesPhotographers

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