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Forschung - 18.11.2022 - 09:00 

To Bid or Not to Bid – über den Wert und Preis von Kunst

Welchen finanziellen Wert hat ein Kunstwerk? Dr. Laura Johanna Noll vom Institut für Marketing und Customer Insight (IMC-HSG) hat sich in ihrer Doktorarbeit der Frage gewidmet, welche Einflussfaktoren den Wert von Kunst und dessen Übersetzung in Auktionspreise bestimmen.

Bei der Versteigerung der Sammlung Paul Allens erzielte Georges Seurats Schlüsselwerk «Les Poseuses, Ensemble» einen Erlös von 149.2 Millionen US-Dollar. Dass das Bild den Zusatz «Petite version», kleine Fassung, trägt, mag da wie die Ironie des Auktionsschicksals klingen. Für einen Cézanne wurden $137.8 Mio., für einen van Gogh $117.2 Mio. bezahlt, und so weiter und so fort. Kein Einzelfall. Wurden doch jüngst für eine Computerdatei, Beeples NFT «Every Days: the First 5000 Days» $69 Mio. oder für einen Leonardo da Vinci, dessen Echtheit in Frage steht, gar unfassbare $450 Mio. ausgegeben. Vor dem Hintergrund solcher Ausschläge mögen manche an der Funktionalität und Rationalität des Kunstmarktes zweifeln.

Tatsächlich kann dieser nicht als ein gewöhnlicher Markt beschrieben werden, erläutert Dr. Laura Johanna Noll: «Für eine Käufer:in nimmt etwa der Grenznutzen je zusätzlich erworbenem Kunstwerk nicht generell ab, wie es bei vielen anderen Gütern der Fall ist.» Zudem steigt mit zunehmender Nachfrage nicht automatisch das Angebot an Kunstwerken, beispielsweise im Falle einer abgeschlossenen Produktion bei bereits verstorbenen Künstler:innen. Doch diese Gründe genügen nicht, um die sehr unterschiedlich ausfallenden Preise erschöpfend zu erklären. Dr. Laura Johanna Noll hat sich in ihrer Doktorarbeit mittels Literaturrecherche, qualitativen Experteninterviews und Fokusgruppendiskussionen auf die Suche nach den vielfältigen Einflussfaktoren für Auktionspreise begeben. Die Aussagen der interviewten Expert:innen internationaler Auktionshäuser zur Frage, auf was der Wert von Kunst basiert, fasst sie in dreizehn Wertdimensionen zusammen. Ihr zufolge bestätigt die Mehrdimensionalität des Wertes von Kunst die Komplexität der mit ihrem Erwerb einhergehenden Entscheidung, ein Gebot abzugeben. Auf Basis von Nolls Arbeit lässt sich dieser Prozess qualitativ nachzeichnen. 

Der individuelle Wert von Kunst

Da ist einerseits ein subjektiver Faktor wie etwa die individuellen Motive, Kunst zu erwerben: Manche Menschen kaufen sie aus Leidenschaft, um sie zu besitzen oder um eine Sammlung aufzubauen. Andere erwerben Kunst als Symbol für Macht, zum Zwecke der Selbstdarstellung oder als Zeichen sozialer Zugehörigkeit. Wieder andere haben mehr Interesse am Wiederverkauf, also an Kunst als Investition. Jedoch, so fasste es ein Interviewpartner zusammen: «Nur wenige Menschen kaufen Kunst als reine Geldanlage. Die meisten kaufen sie aus einem inneren Antrieb heraus, aus dem Wunsch, sich mit etwas anderem zu beschäftigen als dem, was sie täglich tun.» Neben den subjektiven Motiven ist auch der emotionale oder ideologische Bezug zu einem Kunstwerk ausschlaggebend. So spielen während einer Auktion Charaktermerkmale der Bieter:in, wie Rationalität, Willensstärke, Aufmerksamkeitsbedürfnis, Spieltrieb oder Nerven eine Rolle. 

Der «wahre» Wert der Kunst

Natürlich gibt es neben subjektiven Präferenzen so etwas wie einen künstlerischen oder kulturellen Wert eines Kunstwerkes, der Einfluss auf die Höhe der erzielten Preise nimmt. Darunter fällt sicherlich die Bekanntheit der Künstler:in oder die Originalität, Seltenheit und das gewählte Medium des Werkes. Aber auch Trends in der Kunstszene beeinflussen Preise, etwa die künstlerische Aufarbeitung von gesellschaftlichen Themen wie Gleichberechtigung und Diversität. Auffällig ist, dass sich die befragten Expert:innen darüber einig sind, dass nicht alle Werke, die eine hohe künstlerische Qualität aufweisen, auch einen hohen Preis erzielen. «Einer der Interviewten betonte etwa, dass Qualität im besten Falle eine Rolle spielt», sagt Dr. Laura Johanna Noll.

Kollektive Dynamiken

Dieser Umstand ist unter anderem der Tatsache geschuldet, dass neben den bisher genannten Faktoren Biet-Entscheidungen auch massgeblich von kollektiven Dynamiken im Kunstmarkt abhängen. Beispielsweise entscheiden Art und Intensität der Konkurrenz, persönliche Beziehungen und Rivalität darüber, ob Bieter:innen sich an ihr vordefiniertes Limit halten oder darüber hinaus bieten. Konkurrenz um ein Kunstwerk wird dabei als Signal für einen hohen Wert interpretiert. Sie vermindert die Rationalität und erhöht die Dominanz psychologischer und zwischenmenschlicher Aspekte im Entscheidungsverhalten. Findet eine Auktion physisch im Saal statt, sind solche Dynamiken (im Vergleich zu Online und am Telefon) stärker, weil die Beziehungen persönlich sind. Zudem können geübte Auktionator:innen die Atmosphäre vor Ort anheizen, was laut den befragten Kunstexpert:innen vor allem im Niedrig- und Hochpreissegment einen Unterschied von ca. 3 bis 5% machen kann. 

Verminderte Rationalität

Zusammenfassend kann der subjektiv wahrgenommene Wert eines Kunstwerkes durch die erfolgreiche Vermarktung seitens des Auktionshauses beeinflusst werden – besonders dann, wenn bereits ein kunsthistorischer Wert vorhanden ist. Der aus dem steigenden Interesse resultierende Nachfrageüberhang vermindert die Rationalität im Entscheidungsverhalten, führt zu einer höheren Zahlungsbereitschaft, und somit zu einem höheren Preis. Derartige Kaufentscheidungen sind vor allem eine Momentaufnahme: Sie reflektieren den subjektiven Wert eines Kunstwerks zum Zeitpunkt des Verkaufs. In einem anderen Moment kann die subjektive Entscheidung über den Wert eines Kunstwerkes völlig anders ausfallen. Wichtig ist dabei: Diese Momentaufnahmen müssen nicht dem von Kunstexpert:innen taxierten «wahren» Wert der Kunst entsprechen. Oder wie Dirk Boll, einer der Präsidenten des Auktionshauses Christie’s, es mal ausgedrückt hat: «Heutzutage hat das Marketing die kunsthistorische Kanonisierung abgelöst.»

Mehr erfahren Sie über Kunstmarkt-Forschung der HSG auch über das neue Competence Center for Art+ auf LinkedIn und Instagram.

Bild: Christie’s Images 2022

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