Meinungen - 14.09.2015 - 00:00
17. September 2015. Seit den 90er Jahren geht in Wissenschaft und Politik die Angst um vor einer «digitalen Spaltung». Demnach gibt es Menschen, die an den Vorzügen des Internets teilhaben, und solche, die aussen vor bleiben, weil sie keinen Zugang zu den neuen Medien finden. Das Internet schafft wertvolle Ressourcen, wie Wissen, Austausch, Zeit- und Geldersparnis. Diese bleiben aber jenen verwehrt, die das Internet nicht nutzen können.
Mit den Jahren entschärfte sich die digitale Spaltung angesichts rasant steigender Nutzerzahlen. Was bleibt von einer «Spaltung», wenn 80 bis 90 Prozent der Bürger das Internet bevölkern? Doch prompt tat sich eine neue Sorge auf: Was, wenn es eine digitale Spaltung zweiter Ordnung gibt? Oder anders formuliert: Was, wenn wir zwar alle «drin» sind, aber manche das Internet so nutzen, dass sie besonders viele Vorteile daraus ziehen, während andere ihre Zeit vergeuden oder sich sogar Chancen verbauen? Bezeichnet wird dies als die «Beteiligungsspaltung» (participation divide).
Beteiligung im Internet
Die neue digitale Spaltung wirft viele Fragen auf: Was bedeutet «Beteiligung im Internet» genau? Was machen also Menschen, die im Netz beteiligt sind? Warum beteiligen sich manche Menschen nicht, obwohl sie über einen Netzzugang verfügen? Gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet ist die Universität St.Gallen diesen Fragen nachgegangen, und hat deutsche Bürger in Fokusgruppen nach ihrem Nutzungsverhalten befragt.
Ein Ergebnis der Studie: Beteiligung im Internet ist allgegenwärtig. Gesundheitsforen, Lern- und Studienhilfen, kollaborative Kunstprojekte, Crowdfunding, der Vertrieb von Produkten und Dienstleistungen, Petitionen – Formen der Beteiligung finden sich in allen Sphären der Gesellschaft, von der Wirtschaft, über Bildung, Gesundheit und Kultur bis hin zur Politik. In allen Bereichen erstellen und teilen Nutzer Inhalte, um andere zu erreichen, zu bewegen
Das Netz als Abbild der Gesellschaft
Eine heile Beteiligungswelt also? Keineswegs, die Nutzer unterscheiden etwa zwischen freiwilliger und unfreiwilliger, positiver oder negativer Beteiligung: Nicht immer sind Nutzer freiwillig bei Aktionen im Netz dabei – vielleicht wurden sie durch andere hineingezogen, vielleicht wurden ihre Daten ohne ihr Wissen oder ihre Zustimmung verwendet. Beteiligung löst daher auch Sorgen aus. Und: Manche Menschen engagieren sich im Netz für Anliegen, die andere als schädlich empfinden, wie etwa radikale Ideologien.
Warum also sind manche Nutzer im Netz beteiligt und andere nicht? Diese Frage erweist sich als komplex, weil unterschiedliche Nutzer auch Unterschiedliches unter «Beteiligung» verstehen: Bequeme und spassorientierte Nutzer fühlen sich schon «beteiligt», wenn sie mit dem Internet verbunden sind, denn dann sind sie irgendwie «dabei». Souveräne, vielseitige Nutzer haben dagegen ein klares Verständnis von Beteiligung im Internet, sie leben in und mit dem Netz und ziehen zahlreiche Vorteile aus einer partizipativen Nutzung. Viele Nutzer mittleren Alters weisen ein sehr funktionales Verhältnis zum Netz auf, sie schätzen die Vorteile der neuen Medien und nehmen diese selektiv in Anspruch, kontrollieren und begrenzen ihre Nutzung aber strikt.
«Beteiligungsspaltung» durch Alter, Bildung und Werte
Und dann sind da schliesslich noch die ängstlichen Nutzer, meist höheren Alters. Sie verstehen das Internet kaum, fühlen sich ihm ausgeliefert und vermeiden darum eine aktive Nutzung. Viele von ihnen haben keine Vorstellung, was eine «Beteiligung im Internet» überhaupt sein könnte. Dennoch ist die «Beteiligungsspaltung» im Netz keine reine Altersfrage. Die Untersuchung zeigt, dass Sorgen und Unsicherheit in allen Altersklassen anzutreffen sind. Mindestens so wichtig wie Kenntnisse und Selbstvertrauen ist auch die Motivation zu einer Beteiligung.
Hier zeigt sich das Netz durchaus als Abbild der bekannten, physischen Welt. Kein Grund aber, die Hände in den Schoss zu legen, denn der Wille, das Vertrauen und die Fähigkeit zu einer Beteiligung im Internet kann soziale Unterschiede verstärken, die ohnehin mit Alter, Bildung, Einkommen und Werthaltungen verbunden sind. Die digitale Spaltung zweiter Ordnung ist also durchaus real. Leider ist sie auch weniger einfach zu überbrücken, als nur mit einem Internetzugang.
Bild: Photocase / inkje
Weitere Beiträge aus der gleichen Kategorie
Entdecken Sie unsere Themenschwerpunkte