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Hintergrund - 03.06.2022 - 00:00 

Die Luftfahrt auf dem Weg zur Klimaneutralität

Das «Aviation and Space Symposium 2022» in St.Gallen beleuchtete am 2. Juni den Neustart der Luftfahrt unter Nachhaltigkeitskriterien und zeigte, welche Bedeutung die Weltraumindustrie für unser Leben auf der Erde hat. Ein Referent bezeichnete die Raumfahrt als «Rückgrat unserer Wirtschaft».

3. Juni 2022. «Wir freuen uns, dass St.Gallen heute erstmals Gastgeber des grössten Luft- und Raumfahrtsymposiums Europas sein darf», eröffnete Dr. Andreas Wittmer, Leiter des Zentrums für Luftfahrtkompetenz an der Universität St.Gallen (CFAC-HSG), das Aviation and Space Symposium in der Olma-Halle. Die politische Ausgangslage für Luft-und Raumfahrt in der Schweiz erläuterten zwei Gäste aus Bundesbern. Francine Zimmermann, Director Aviation Policy Strategy des Federal Office of Civil Aviation (FOCA), ging in ihrem Kurzvortrag auf die Klimastrategie für die Zivilluftfahrt ein. Die Schweiz wolle Emissionen aus der Luftfahrt mithilfe neuer Technologien und Regularien reduzieren. Renato Krpoun, Head Swiss Space Office (SERI), zeigte, welche Rolle die Schweiz in der globalen Raumfahrtindustrie einnimmt. So sei die Schweiz zum Beispiel an 60 ESA-Programmen beteiligt und gelte als Innovationstreiber.

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Dr. Andreas Wittmer, Leiter des Zentrums für Luftfahrtkompetenz an der Universität St.Gallen (CFAC-HSG)

Der Traum vom Fliegen hat seinen Preis

Einen kritischen Blick auf die Umweltbelastung durch die Aviatik warf Nachhaltigkeitsmanagement-Expertin und HSG-Professorin Judith Walls in ihrem Vortrag zu Beginn der Tagung. «Der Traum vom Fliegen begleitet uns seit Menschengedenken. Träume, Technologie und Imagination haben uns weit gebracht: Wir fliegen um die Welt und ins All. Aber dieser Traum hat einen Preis: Er ist zum Treiber des Klimawandels geworden.» Die HSG-Professorin rief die in St.Gallen versammelten Aviatik- und Raumfahrtfachleute dazu auf, ihre Geschäftsmodelle zu überdenken und Nachhaltigkeit in die Unternehmensstrategien zu integrieren.

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Prof. Dr. Judith Walls, Ordentliche Professorin für Sustainability Management (IWOE-HSG)

Eine nachhaltige Innovation stellte Dr. Philipp Furler, Gründer und CEO von Synhelion vor: Seine Firma verwandelt Sonnenlicht zu Treibstoff und möchte bis 2040 bereits einen Grossteil Europas mit der neuen Ressource versorgen. «Solartreibstoff soll langfristig die fossilen Brennstoffe ersetzen», sagte Furler. Stefan Tschudin, COO Flughafen Zürich, betonte, dass sich Zurich Airport Ltd dazu verpflichtet habe, die CO2-Emmissionen bis spätestens 2050 auf Netto-Null zu reduzieren. Unterstützt werde das Ziel durch einen umfassenden Fahrplan und ein zertifiziertes Klimaprogramm.

Ein Umdenken aller Involvierten ist nötig

In einer gemeinsamen Diskussion sprachen die Podiumsteilnehmenden Knackpunkte in der Umsetzung der klimaneutralen Luftfahrt an. Betont wurde beispielsweise, dass neue Technologien einen wichtigen Beitrag zum Netto-Null-Ziel beitragen würden. Gleichzeitig müsse aber bei allen Involvierten ein Umdenken stattfinden. Immer mehr Menschen hätten den Wunsch und die Möglichkeit, mit dem Flugzeug zu reisen. Steige durch die grosse Nachfrage die Zahl der Flugbewegungen rasant, sei die Gefahr gross, dass die Bemühungen um Klimaneutralität verpufften. Es brauche die Einsicht, dass nicht jede Ferienreise mit dem Flugzeug unternommen werden müsse und nicht jeder Businessflug wirklich nötig sei.

Angesprochen wurde in der Diskussion zudem, dass es auf den unterschiedlichsten Ebenen und vor allem auch in der Wirtschaft mehr Bewusstsein für die Bedeutung der Nachhaltigkeit braucht. In den Aus- und Weiterbildungen müsse das Thema mehr Gewicht erhalten. Die meisten Expertinnen und Experten gaben aber auch ihrer Überzeugung Ausdruck, dass sich die Luftfahrt auf gutem Wege befindet, um in wenigen Jahrzehnten tatsächlich nachhaltig unterwegs zu sein. Dies gelte aber in erster Linie für die Luftfahrt in Europa.

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Raumfahrt und Weltraumwirtschaft heben ab

Der zweite Teil des Symposiums widmete sich der Raumfahrt, die einen rasanten Boom erlebt. Schon jetzt gibt es Hunderte von neu gegründeten Unternehmen, die an neuen Geschäftsmodellen teilhaben wollen. «Der Raumfahrtsektor entwickelt sich so dynamisch, dass er in Zukunft eine immer grössere Rolle für unser Leben auf der Erde spielen wird», betonte Prof. Dr. Pascale Ehrenfreund. Die Astrobiologin war bis September 2020 Vorstandvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Die zunehmende Beteiligung kommerzieller Raumfahrtakteure sowie neuer und aufstrebender Raumfahrtländer führten zu Paradigmenwechseln und Umwälzungen im Raumfahrtsektor. «Prognosen gehen davon aus, dass die globale Weltraumindustrie im Jahr 2040 einen Umsatz von einer Billion US-Dollar oder mehr erwirtschaften wird.»

Dr. Axel Roenneke, Vizepräsident Kex Account & Sales bei Beyond Gravity, bezeichnete die Raumfahrt als das Rückgrat der heutigen Wirtschaft. In seinen Ausführungen machte er deutlich, dass sie bereits heute in vielen Technologiefeldern eine wichtige Rolle spielt. Satelliten ermöglichen beispielsweise bruchlose Telekommunikation, steuern dezentrale Energiesysteme, organisieren über Navigationssysteme Verkehrsströme und unterstützen die passgenaue Bewässerung in der Landwirtschaft.

Ulrich Kübler und Marc Maschmann, beide von Airbus Defence and Space, stellten neue Technologien, Materialien und Verfahren vor, die für die schwierigsten Umgebungen im Weltraum ausgelegt sind. Airbus sei eines der wenigen Unternehmen auf der Welt, das über das technische Know-how verfüge, um extrem anspruchsvolle Raumfahrtmissionen für alle Zielorte zu entwickeln.

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Den Weltraum vom Schrott befreien

Dem Putzen des Weltraums verschrieben hat sich Luc Piguet. Er ist Co-Gründer und CEO von ClearSpace. «Nachhaltigkeit geht über die Grenzen der Erde hinaus», betonte er. Im Orbit wimmle es von Weltraumschrott wie defekten Satelliten und Raketentrümmern. Sie gefährdeten sowohl die bemannte Weltraumfahrt wie auch die Satellitenindustrie, die immer fundamentaler für unser Leben auf der Erde werde. In der Paneldiskussion wurde vor allem auf die Bedeutung der Raumfahrt für Europa hingewiesen. Die europäischen Länder müssten dringend jetzt die Weichen stellen, um den unabhängigen Zugang zum All nicht zu verlieren.

Zum Symposium gehörte auch eine Ausstellung mit Organisationen der Luft- und Raumfahrtindustrie aus dem deutschsprachigen Raum. Ihre Präsentationen machten zusammen mit den Ausführungen der Referentinnen und Referenten deutlich, wieviel Potential in den verschiedensten Wirtschaftsbereichen von der Raumfahrt erwartet wird. Neben Lösungen für den globalen Umwelt- und Klimaschutz erhofft man sich zum Beispiel auch die Gewinnung von Rohstoffen aus dem Weltraumbergbau.

Bilder: Universität St.Gallen (HSG)/Hannes Thalmann

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