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Hintergrund - 30.09.2022 - 00:00 

Chancentag diskutiert EU-Dialog

Wie steht es um die Beziehung zwischen der Schweiz und der EU? Dieser Frage ging der Chancentag 2022 nach. Im SQUARE diskutierten Interessierte aus den unterschiedlichsten Bereichen, wie ein konstruktiver und lösungsorientierter Europadialog geführt werden kann.

30. September 2022. Das Chancenbarometer ist eine repräsentative Umfrage, die jährlich in allen Regionen der Schweiz durchgeführt wird. Dieses Jahr stand die Einstellung der Bevölkerung gegenüber der künftigen Zusammenarbeit mit der EU im Mittelpunkt der Studie, die von HSG-Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Tina Freyburg geleitet wird. Zum Auftakt des Chancentages wurden die Resultate an einer Medienkonferenz vorgestellt.

Von Chancenlabs bis zur Paneldiskussion
Neben der Präsentation der Studienresultate ist ein wichtiges Ziel des Chancentages, unterschiedliche Zielgruppen einzubeziehen und ihnen Chancenthemen und Perspektiven näherzubringen. Ein Bürger:innen-Lunch, vier Chancenlabs mit Experten, eine Paneldiskussion und ein Abschlussanlass für den Austausch zwischen Kultur, Medien, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft standen am Donnerstag, 29. September 2022, auf dem Programm. Die vier Experten-Workshops sprachen vor allem Studierende und Mitglieder des StrategieDialogs21 an. Sie dienten dazu, die eigene Gestaltungskraft zu steigern und die Dialogkompetenz zu erhöhen, um sich dadurch stärker in die Gesellschaft einbringen zu können. Im Gespräch mit Extrembergsteiger Michi Wohlleben ging es beispielsweise darum, dass nicht nur Siegen, sondern auch das Scheitern Chancen zur Weiterentwicklung eröffnen.

Die Paneldiskussion zu Europa stand unter dem Titel «1x Beziehung, bitte! Pragmatismus statt Ideologie». Unter der Leitung von Jonas Projer (Chefredaktor NZZ am Sonntag) diskutieren Georges Kern (CEO Breitling, HSG-Beirat), Jobst Wagner (Initiant StrategieDialog21, Unternehmer), Prof. Tina Freyburg (Studienleiterin, Professorin Vergleichende Politikwissenschaft) und Camille Lothe (Präsidentin SVP Stadt Zürich). Die Gesprächsteilnehmenden warfen die Fragen auf, warum es der Schweiz an einer pragmatischen Vorgehensweise mit der EU fehlt und wie man zu mehr Aktion statt Reaktion mit dem wichtigsten Handels- und Friedenspartner kommt.

Offen für eine Neugestaltung der EU-Beziehungen
Die diesjährige Umfrage zu Europa zeige deutlich, dass die Schweizer Bevölkerung viel offener für eine Neugestaltung der Beziehungen zur EU sei, als die öffentliche Diskussion es vermuten lasse, erklärte Jobst Wagner. Das Scheitern des Rahmenabkommens habe zum Stillstand und stetigen Abbröckeln der Verträge geführt, betonte Tina Freyburg. Stillstand aber sei nie eine gute Handlungsoption. Um die Beziehungen zu Europa neu aufzustellen, brauche es dringend ein aktives Vorgehen. Georges Kern zeigte sich überzeugt, dass der Zeitpunkt für Verhandlungen noch nie so günstig war wie in der momentanen Situation. Die Schweiz brauche optimale Beziehungen zur Europa, um den Wohlstand zu wahren. Umgekehrt aber brauche Europa gerade jetzt, wo es in den eigenen Reihen mit diversen Problemen kämpfe, die Schweiz als soliden Pol.

Es sei eine Illusion zu glauben, dass die politischen Parteien vor den nächsten Wahlen das Thema Europa angehen würden, warf Camille Lothe ein. Niemand wolle sich mit den schwierigen Fragen rund um die Beziehungen zur EU die Finger verbrennen. Er glaube nicht, dass allein die Parteien für den Stillstand verantwortlich seien, entgegnete Georges Kern. Das grösste Problem sei seines Erachtens, dass die Schweiz nicht wirklich wisse, was sie eigentlich wolle. Und dies sei keine gute Basis für eine erfolgreiche Verhandlungsstrategie.

Dringend gefragt ist eine Auslegeordnung
Die Mehrheit der Podiumsteilnehmenden stimmte diesem Votum bei. Es brauche eine Auslegeordnung, die nicht nur die bilateralen Abkommen als Lösung in Betracht ziehe, sondern auch Alternativen wie beispielsweise ein «EU-Mitgliedschaft light» oder andere Optionen, wurde betont. Dabei sei es wichtig, die Debatte nicht mit ideologischen Sichtweisen oder Grabenkriegen zu führen, sondern im konstruktiven Miteinander einen gemeinsamen Nenner auszuloten. Die Bevölkerung sei ins Boot zu holen und umfassend über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Möglichkeiten zu orientieren. 

Auch das Publikum beteiligte sich rege an der Diskussion. «Angesichts des aktuellen geopolitischen Wandels ist die Schweiz auf ein starkes und handlungsfähiges Europa angewiesen», erklärte ein Votant. Nun müsse so rasch als möglich ein neues Gremium eingesetzt werden, das die Chancen neu definiere, welche sich mit einer optimalen Beziehung zu Europa eröffneten, lautete ein weiteres Votum. 

Die verschiedenen Veranstaltungen hätten aufgezeigt, dass Chancendenken funktioniere, erklärte Historiker und Politologe Joseph de Weck, in einem Resümee zum Chancentag. Wolle man Herausforderungen erfolgreich angehen und etwas erreichen, sei es unabdingbar, an die Chancen zu glauben. Sowohl beim Debattieren während des Mittagessens als auch in den Ausführungen der Workshops und den engagierten Voten der Paneldiskussion sei deutlich geworden, dass zwar vieles im Argen liege, wir es aber auch selber in der Hand hätten, die Herausforderungen anzugehen.

Mehr über das Chancenbarometer unter: www.strategiedialog21.ch/chancenbarometer

Claudia Schmid 

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