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Meinungen - 27.08.2012 - 00:00 

US-Wahlkampf: Streit um Ideen

Entwickelt sich der Wahlkampf in den USA zum veritablen Streit um Ideen? Mit etwas Glück wird sich die Diskussion bald weniger um die Kandidaten drehen, als um das, wofür sie eintreten, meint James W. Davis.

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29 August 2012. Die erste wichtige politische Entscheidung jedes Anwärters auf das höchste Amt des Landes ist die Wahl eines Vizepräsidentschaftskandidaten. Anders als bei der Nominierung des Präsidentschaftskandidaten, muss sich der Bewerber um das Amt des Vizepräsidenten nicht den aufreibenden Strapazen der Vorwahlen unterziehen. Es kann sogar sein, dass sich der oder die VizepräsidentschaftskandidatIn noch nie um ein öffentliches Amt beworben hat - weder lokal, noch auf Landes- oder Bundesebene – und deswegen oft eine gänzlich unbekannte Grösse darstellt. Während die Nominierung des Präsidentschaftskandidaten durch die Parteien die Meinungen von Millionen von Amerikanern berücksichtigt, spiegelt sich in der Ernennung des Vizepräsidentschaftskandidaten letztendlich nur die Urteilskraft einer einzigen Person wieder.

Langweiliger Wahlkampf wird zum Streit um Ideen
Senator John McCain scheiterte 2008 an diesem ersten Test seiner Führungsstärke als zukünftiger Präsident, indem er Sarah Palin, die Gouverneurin von Alaska, als seine Vizepräsidentschaftskandidatin nominierte. Auch wenn ihre populistische und direkte Sprache die republikanische Basis nationalistisch gesinnter Konservativer – Vorläufer der heutigen Tea-Party-Bewegung – mobilisieren konnte, wurde Sarah Palin von niemandem als reif genug für die nationale Bühne betrachtet. Wie kein Geringerer als der ehemalige Vizepräsident Dick Cheney vor Kurzem zugegeben hat, war der Gedanke an die Möglichkeit, dass Sarah Palin im Falle einer vorzeitigen Beendigung der Amtszeit McCains ins Weisse Haus einziehen könnte, selbst für überzeugte Konservative untragbar. Letztendlich verlor McCain durch die Nominierung Palins wahrscheinlich genauso viele, wenn nicht sogar mehr Stimmen, als er durch sie gewonnen hat.

Indem Mitt Romney jetzt jedoch den Kongressabgeordneten Paul Ryan aus Wisconsin als Vizepräsident nominierte, hat der frühere Gouverneur von Massachusetts seine erste Bewährungsprobe als Präsidentschaftskandidat klar bestanden. Noch ist es zu früh um darüber zu spekulieren, ob Ryan – ebenfalls ein Publikumsliebling der Tea Party Bewegung – Stimmen gewinnen kann, die Romney nicht ohnehin erhalten würde. Auf jeden Fall aber hat bereits die Nominierung Ryans den sich bislang ankündigenden langweiligsten Wahlkampf der jüngeren Vergangenheit in einen Streit um Ideen verwandelt: Nun geht es um die wirklich grossen Themen. Wenn der Wahlkampf dazu führt, dass sich die Wähler mit grossen Ideen auseinanderzusetzen müssen, dann profitieren am Ende alle davon. 

Ängste vor sozialem Abstieg schüren
Dass Sarah Palin bei den Wählern Anklang fand, lag vor allem an ihrem Gespür für die Wut und Ängste der amerikanischen Arbeiter- und Mittelschicht, die merken, dass ihre Zukunft in einer globalisierten Wirtschaft unsicherer wird. Palin war in der Lage, diese negativen Emotionen gegen eine teilweise imaginäre, sowie reale intellektuelle und kosmopolitische Elite zu lenken, der sie des Öfteren vorwarf «unamerikanisch» zu sein.

Paul Ryan dagegen ist stark beeinflusst von den Schriften libertärer Denker wie der aus Russland emigrierten Philosophin Ayn Rand, den österreichischen Ökonomen Ludwig von Mises und Friedrich von Hayek, sowie dem amerikanischen Ökonomen Milton Friedman, dabei aber weder fremdenfeindlich noch feindselig gegenüber Intellektuellen. Es ist sein Bekenntnis zu einem starken Individualismus und der freien Marktwirtschaft, die verbindende Gemeinsamkeit dieser Denker, das ihn dazu führt, für eine drastisch reduzierte Rolle des Staates im Leben der einzelnen Individuen einzutreten. Als Vorsitzender des Haushaltsausschusses im Repräsentantenhaus und Autor des republikanischen Gegenentwurfs zu den beträchtlichen Bundeshaushaltsausgaben, die Präsident Obama für 2012 und 2013 vorlegte, hat Ryan massive Steuer- und Ausgabenkürzungen gefordert. Auch Medicare, die bundesweite Krankenversicherung für Rentner, würde dann eingestellt werden. Stattdessen würden Senioren einen Gutschein erhalten, den sie sich beim Abschluss einer privaten Krankenversicherung anrechnen lassen könnten.

Suche nach ernsthafter Debatte
Es gilt also eine ernsthafte Auseinandersetzung über mögliche Wege aus der katastrophalen Haushaltskrise sowie die eng damit verbundene Frage der angemessenen Rolle des Staates im Leben einzelner Individuen zu führen. Wird die Freiheit des Individuums immer am besten durch einen möglichst schlanken und zurückhaltenden Staat garantiert? Oder ist es vielmehr die Aufgabe des Staates ausgeglichene Startbedingungen zu schaffen, so dass jeder seine Freiheiten unabhängig von seiner sozialen Herkunft auch tatsächlich ausüben kann? Darüber hinaus ist es keineswegs klar, dass die von Paul Ryan favorisierten Lösungen durch den Markt wirklich immer staatlichen Programmen vorzuziehen sind. Selbst liberale Ökonomen wissen, dass man den Staat gerade in jenen Bereichen benötigt, in denen der Markt versagt. Ausserdem kann zumindest ein Teil der Verantwortung für die derzeitige Wirtschafts- und Finanzkrise der zu lang anhaltenden Periode staatlicher Deregulierungen zugeschrieben werden.

Vor der Nominierung Paul Ryans durch die Republikaner sah es so aus, als ob die Kandidaten eine ernsthafte Debatte über Inhalte zugunsten von persönlichen Angriffen auf ihre Gegner vermeiden würden. Mit etwas Glück, wird sich die Diskussion zukünftig weniger um die Kandidaten selbst drehen, als um das, wofür sie eintreten.

Bild: Photocase / 5386765

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