close

Forschung - 17.06.2014 - 00:00 

Fussball macht Gesellschaft

Fussball schafft Emotionen und Haltungen bei Fans, Anti-Fans, Medien und der breiteren Öffentlichkeit, die sich auch in gesellschaftlichen Werten niederschlagen. Dies zeigt ein Team um HSG-Betriebswirtschaftler Timo Meynhardt in einer aktuellen Studie.

$alt

19. Juni 2014. Wenn die deutsche Bundeskanzlerin nach einem Spiel in die Kabine der Nationalmannschaft kommt, wird daraus ein mediales Ereignis. Ein Schelm, wer dabei nicht auch an politisches Kalkül und Symbolpolitik denkt. Mit Fussball kann ein Politiker Staat machen. Doch beim Fussball geht es um mehr: von der Dorfmannschaft bis zu den Nationalmannschaften rund um den Globus hat diese Sportart eine gesellschaftsbildende Kraft entwickelt, die ihresgleichen sucht. Fakt ist: Fussball macht Gesellschaft, Fussball schafft Public Value.

Fussball prägt gesellschaftliche Werte

Exemplarisch wird dies deutlich, wenn man eine Spitzenmannschaft einmal genauer unter die Lupe nimmt. In einer aktuellen HSG-Studie über den FC Bayern München (siehe Download auf der rechten Seite) kam zu Vorschein, wie tief ein Fussballklub in die Gesellschaft hinein wirkt und ein Gemeinwesen prägt. Der Klub hat mehr als 200‘000 offizielle Mitglieder und damit mehr als die meisten Parteien. Eine Facebook-Abfrage «Was bedeutet der FC Bayern München für Dich?» erbrachte etwa innerhalb von drei Stunden 4000 Antworten. Einige Beispiele im Originalton:

  • Mein Leben. Und nicht weniger. Danke für alles.
  • Seit 20 Jahren mitfiebern, mitleiden, mitfreuen und gegen alle Neider verteidigen.
  • My life, my heart, my blood, my body, my soul, my everything. I was born to support FC Bayern München.
  • Der FCB ist mein Leben meine Liebe mein schönstes Hobby, einfach nur genial geil.
  • Ich bin seit meiner Kindheit FC Bayern Fan. Es war das einzige, was mich mit meinem Vater verbunden hatte.

Die sportliche Leistung, der Auftritt am Spielfeldrand und die Tätigkeit des Klubs führen zu Emotionen und Haltungen bei Fans, Anti-Fans, Medien und letztlich der breiteren Öffentlichkeit, die sich auch in gesellschaftlichen Werten (Public Value) niederschlagen und diesen ihren Stempel aufdrücken. Es werden ganze Bilder im Kopf geschaffen, «wie das Leben funktioniert» oder «was wirklich zählt in der Gesellschaft». Ein Klub wie der FC Bayern München hat für viele Menschen eine sinnstiftende Funktion, macht die Welt ein wenig verständlicher und ist wie selbstverständlich Gegenstand von Projektion und Identifikation, wie es andere gesellschaftliche Institutionen ausserhalb des Sportes kaum schaffen. Nicht nur junge Männer eifern ihren Vorbildern nach. Quer durch alle Bildungs- und Einkommensschichten wirken solche Public Values und werden dadurch zur gesellschaftlichen Wirklichkeit.

Fussballklubs beeinflussen weltweites Bild ihres Landes

Zu den in der Studie ermittelten Public Values gehören an vorderster Stelle die identitätsstiftende Funktion («Mia san Mia») des Klubs und die gelebte Begegnung unterschiedlichster Milieus («sozialer Schmelztiegel»). Der FC Bayern kreiert weltweit auch ein Deutschlandbild. Nicht zu vergessen ist der maximale Leistungshunger, der wesentlich dafür steht, dass die Aufstiegsmotivation junger Menschen («Du kannst es allein aufgrund Deiner Leistung schaffen») erhalten bleibt. Etwas um die Ecke gedacht, aber ein ebenso bedeutsamer Public Value: Angestachelt durch die enorme Polarisierungskraft bilden sich Gemeinschaften – für oder gegen diesen Klub.

Natürlich ist auch viel Geld im Spiel. Nur: Allein über betriebswirtschaftliche Erwägungen lässt sich solch ein Klub nicht führen und nicht in seinem Wesen erfassen. Was passiert etwa, wenn die Fans über Facebook ein Engagement des Klubs in politischen Fragen fordern (wie vor der EM 2012 in der Ukraine)? Oder die Politik ein stärkeres Engagement in Fragen öffentlicher Sicherheit einfordert? Hier ist eine breitere Sicht gefordert. So kann die lokale Verwurzelung schnell zum Bremsklotz für die globale Strahlkraft der Marke werden, bei der es primär um schöne Bilder geht.

Wer mag sich hinstellen und die Fussballbegeisterung als fehlgeleitet oder kindisch bezeichnen? Das wäre arrogant. Nein, Fussball verbindet Menschen, Gruppen und ganze Nationen in einer Weise, wie es politische Massnahmen oder wirtschaftliche Aktivitäten wohl selten so effektiv und so friedvoll vermögen. Mit diesem Public Value-Pfand sollte man auch bei der WM 2014 wuchern.

Foto: Riccardo Piccinini - Fotolia.com

Entdecken Sie unsere Themenschwerpunkte

north